13 Millionen Katzen und acht Millionen Hunde leben in deutschen Haushalten. Dabei bringen sich viele Menschen aus falsch verstandener Tierliebe selbst in Gefahr. Tierpathologe Achim Gruber warnt in FOCUS Online davor, Haustiere mit einem Kuscheltier zu verwechseln.
Die Deutschen lieben ihre Haustiere. In fast jedem zweiten Haushalt leben Katze, Hund, Vogel oder Reptilien. Der Berliner Tierpathologe Achim Gruber hat für sein Buch "Das Kuscheltierdrama" die Zahlen zusammengetragen: Demnach sind es 13 Millionen Katzenund über acht Millionen Hunde (für so viele wird zumindest Hundesteuer bezahlt). Dazu kommen eine Million Pferde, vier Millionen Fische und nicht zu vergessen die rund sechs Millionen Kleintiere wie Hasen, Kaninchen, Hamster oder Meerschweinchen und fünf Millionen Ziervögel.
FOCUS Online hat sich mit dem Tierpathologen über die Deutschen und ihre - manchmal auch falsch verstandene - Tierliebe unterhalten.
FOCUS Online:Herr Gruber, haben Sie ein Haustier?
Achim Gruber:Ja, natürlich, ich liebe Tiere. Ich habe einen Mischlingshund. Ich mag Vielfalt, da passt ein Mischling sehr gut.
FOCUS Online:Sitzt der Hund mit am Abendbrottisch und liegt er beim Fernsehen mit auf der Couch?
Gruber:Sicher nicht. Das muss jeder für sich entscheiden, denn es kann auch für beide ein Gewinn sein. Aus Sicht des Tierpathologen spricht nichts dagegen, solange gewisse Hygieneregeln eingehalten werden, die Gefahren für beide vermeiden. Und bei der Vermenschlichung darf das Tier nicht seiner Natur beraubt werden. Tiere sind nun einmal keine Menschen, auch wenn mancher sie zum Lebensgefährten macht.
"Problematischer kann diese Vermenschlichung am Essverhalten sein"
FOCUS Online:Aber aufs Sofa muss man den Hunddoch nicht zwingen.
Gruber:Natürlich nicht. Problematischer kann diese Vermenschlichung am Essverhalten sein. Manche Hunde bekommen nur Kartoffelbrei, Karotten und Schokolade als Futter. Manche wollen Hund oder Katze vegan ernähren, weil der Mensch vegan lebt. Da werden die Tiere ihrer eigenen Natur beraubt. Sie werden dem Weltbild des Menschen entsprechend gehalten. Damit tun wir ihnen Unrecht, denn wir verlieren die natürlichen Bedürfnisse aus den Augen, die sie als Hund oder Katze haben.
FOCUS Online:Das Haustier als Partnerersatz ist also keine gute Idee?
Gruber:Ein Haustier ist etwas Wunderbares, von mir aus auch gerne als Sozialpartner. Streicheln und Kuscheln kann für soziale Wesen wie Hunde und Katzen sehr gut sein, diese Beziehung kann eine echte Win-Win-Situation sein, das will ich nicht verteufeln.
Haustiere sind keine Kuscheltiere - was bedeutet das?
FOCUS Online:Dennoch sprechen Sie von einem Kuscheltierdrama.
Gruber:Wenn man Kinder hat, steht die Familie über kurz oder lang vor der Frage, ob ein Tier ins Haus kommt. Bei der Wahl stellen sich vorher ein paar Fragen. Wie alt ist das Kind? Ist es ein ruhiges Kind oder eher lebhaft? Ist es verantwortungsbewusst oder stürzt es gleich auf das Tier los?
FOCUS Online:Das schreckhafte Meerschweinchen ist so gesehen nicht die erste Wahl für Kinder.
Gruber:Es spricht gar nichts gegen Meerschweinchen. Man muss nur respektieren, dass es Fluchttiere sind. Wie auch der Hamster oder das Kaninchen. Wenn jemand von oben in den Käfig greift, dann glauben die, da greift ein Raubvogel an und ich muss jetzt sterben. Sie erleben eine Todesangst. Aber man kann sie langsam heranführen. Oder Sie nehmen ihnen den Stress mit Hilfe von Vlieshöhlen, in denen sie Schutz finden und gar nicht sehen, wie sie aus dem Käfig gehoben werden. Man muss die Natur des Tieres berücksichtigen, dann geht das.
FOCUS Online: Sie sagen auch, dass viele den fundamentalen Unterschied zwischen einem Stofftier und einem Haustier nicht respektieren.
Gruber:Viele sehen ihn nicht so deutlich, wie er sein müsste. Das Kind bekommt, wenn es ganz klein ist, einen Teddy, dann werden es immer mehr Stofftiere und es lernt, mit ihnen umzugehen. Irgendwann kommt der Schritt und er bekommt sein erstes lebendes Tier. Da sollte man darauf achten, dass das kein nahtloser Übergang ist, sondern dem Kind bewusst machen: Da kommt eine große Aufgabe auf dich zu. Das ist ein lebendes Tier. Du hast eine Verantwortung, wenn das Tier alleine gelassen werden will, musst du es alleine lassen, du musst es entsprechend füttern. Diesen Schritt muss man als Erwachsener begleiten – für das Kind, aber auch für das Tier.
So gefährlich ist es, Medikamente mit seinem Haustier zu teilen
FOCUS Online: Auch Erwachsene sehen in den Tieren noch das Stofftier und kuscheln gerne…
Gruber:Ich musste einmal eine Hautgewebeprobe eines prächtigen Rüden untersuchen. Der hatte nach und nach fast alle Haare verloren und seine Hoden waren geschrumpft. Für Hündinnen interessierte er sich auch nicht mehr. Wir stellten bei ihm eine schwere Hormonstörung fest. Dann ging die Ursachenforschung los. War das Futter hormonbelastet? Nein. Es kam heraus, dass der Hund regelmäßig im Bett seines Frauchens lag und die beiden offenbar so eng miteinander kuschelten, dass die Östrogencréme, die die Frau gegen ihre Wechseljahrbeschwerden aufgetragen hatte, auf den Hund übergegangen war. Sie selbst also hatte den Hund in einen Eunuchen verwandelt...
FOCUS Online: Das war sicher ein einmaliger Fall?
Gruber:Es war der erste Fall und er liegt schon ein paar Jahre zurück. Er blieb aber nicht der einzige. Medikamente zu teilen ist übrigens auch etwas, das immer wieder vorkommt. Das sollte man strikt vermeiden. Gerade ihre eigenen Herzmedikamente sollten ältere Menschen ihrem Liebling nicht geben, auch wenn der auch etwas am Herzen hat. Dafür gibt es passende Tierarzneien.
FOCUS Online:Man könnte das als Fürsorge werten.
Gruber:Nein, das ist gefährlich! Für beide. Für den Menschen, weil er seine Dosis nicht einnimmt und das Medikament eventuell unwirksam wird. Und das Tier kann an der Medizin sterben.
FOCUS Online:Dann landen die Kadaver bei Ihnen auf dem Obduktionstisch.
Gruber: Wenn wir sie untersuchen, verrät uns das viel darüber, wie sie gehalten wurden und auch darüber, wie der Besitzer sie gesehen hat. Als Tierpathologen sehen wir oft die Diskrepanz zwischen heutiger wissenschaftlicher Kenntnis und dem, was da draußen schief läuft. Das geht von Gebrechen, die bestimmten Rassen regelrecht angezüchtet worden sind, bis hin zur Übertragung von Killerkeimen. Da sehe ich ein deutliches Informationsdefizit. Manche Kuscheltierdramen könnten vermieden werden.
Tierpathologe Achim Gruber
Prof. Dr. Achim Gruber, Jahrgang 1966, leitet das Institut für Tierpathologie an der Freien Universität Berlin. Bei ihm lagen schon prominente Tiere auf dem Obduktionstisch: der Eisbär Knut und der Große Panda Bao Bao. Es können aber auch Fische sein, wenn die Besitzer eines teuren Kois wissen wollen, woran er nun gestorben ist.
Mit seinem Buch "Das Kuscheltierdrama" erzählt er aus seinem Berufsalltag und erklärt, was bei der Haustierhaltung richtig und falsch gemacht werden kann.
Gesundheitliche Probleme können angezüchtet sein
FOCUS Online:Wo sehen Sie die größten Defizite?
Gruber:In der Defektzucht und in der Hygiene und Vorsorge.
FOCUS Online:Was bedeutet Defektzucht?
Gruber:Wir Tierpathologen und die Tierärzte beobachten diese bei manchen Hunde- und Katzenrassen. Durch die Defekte, die von skrupellosen Züchtern bewusst in Kauf genommen werden, entstehen ganz neue Probleme, die mit großem tierärztlichem Aufwand wieder korrigiert werden müssen – wenn es denn geht. Besorgniserregend ist die Zucht auf Extremformen und Extravaganz, wie extrem kurznasig gezüchtete Möpse oder Bulldoggen. Dabei entscheidet sich an der Schnauze, ob der Hund atmen und effektiv hecheln kann oder ob wir ihn auf Raten ersticken lassen. Es gibt Nacktkatzen, denen sogar noch die Tasthaare weggezüchtet wurden. Sie sind ihr Radar in der Dunkelheit. Einfach weg! Wir sehen Probleme mit bestimmten Farbscheckungen. Einige Farbvarianten können mit Ausfällen von Sinnesleistungen einhergehen, die untrennbar mit diesen Farbvarianten verbunden sind.
FOCUS Online:Sie meinen die oft bunt gescheckten Hunde, die manchmal auch unterschiedliche Augenfarben haben?
Gruber:Mit dem sogenannten Merle- oder Tiger-Faktor wird die Fellfarbe scheckig aufgehellt. Sehr beliebt ist das beim Australian Shepherd, Collie und zunehmend anderen Rassen. Wenn das Tier Pech hat, ist es taub und kann auch nicht schwimmen. Dahinter steckt nämlich der gleiche Gendefekt, der zu der hübschen Farbe führt. Seit 50 Jahren ist das bekannt, aber diese Hunde sind heute populär wie nie. Nur das wird gezüchtet, was auch gekauft wird.
FOCUS Online: Den Tieren werden also schwere gesundheitliche Probleme bewusst angezüchtet?
Gruber: Oft ist es Ausblenden, Unsensibilität oder Unkenntnis. Bewusstes Quälen möchte ich den meisten nicht unterstellen, daher vermeide ich auch den Begriff "Qualzuchten". Seit ein paar Jahren gibt es Versuche, mit Hilfe von Tierschutzgesetzen bestimmte Extreme von der Tierzucht auszuschließen. Glücklicherweise beobachten wir auch einen Trend, dass Tiere wieder zurück gezüchtet werden und beispielsweise wieder längere Nasen haben, um besser atmen zu können.
Gruber: Hygiene und Vorsorge werden vernachlässigt
FOCUS Online: Weitere Defizite haben Sie in Hygiene und Vorsorge ausgemacht. Wie kann das sein, wir Deutsche geben jedes Jahr mehrere Milliarden Euro für unsere Tiere aus.
Gruber: Vor Jahrzehnten wurde jedes Kind ermahnt, sich nach dem Streicheln eines Hundes die Hände zu waschen. Heute ist das nicht mehr so geläufig. Da sitzt der Hund erwartungsvoll neben dem Herrchen am Esstisch und hofft, dass etwas abfällt. Weil er schon so lieb dasitzt, wird er kurz gestreichelt und dann wird weiter gegessen. Das ist schon bizarr. Einerseits werden die Toilettenbrillen ohne Ende desinfiziert, andererseits streicheln wir den Hund und greifen danach mit derselben Hand nach dem Brötchen. Wir sehen schon, dass Hygieneregeln und vorbeugende Entwurmung vernachlässigt werden. Es können daraus Infektionen durch Darmparasiten entstehen, die im Einzelfall gefährlich werden können für den Menschen.
FOCUS Online:Woran denken Sie genau?
Gruber:Wenn man mit dem Hund im Freien ist, gibt es immer auch das Risiko, dass er sich mit Fuchsbandwurm infiziert. Er hat sich dramatisch ausgedehnt und ist in allen Bundesländern verbreitet. Laut Robert Koch Institut haben wir etwa 60 neue Infektionen beim Menschen pro Jahr. Ich finde, das sind 60 zu viel.
FOCUS Online: Entwurmung hätte da geholfen?
Gruber: Damit lassen sich die Risiken reduzieren. Es gibt ja noch viele andere Würmer: andere Bandwürmer, Hakenwürmer und Spulwürmer, die bei Hunden vorkommen und im Einzelfall auch dem Menschen gefährlich werden können. Durch ungeschützten Kontakt, also intensives Streicheln oder Körperkontakt, ohne dass man sich danach die Hände wäscht, kann man sich infizieren. Denn die Eier der Parasiten können im Fell über viele Wochen hinweg infektiös bleiben.
Und was denken Sie daran ?