Hart, härter – und dann? Der Weg der maximalen Härte gegen Russland hat erste Folgen, weist aber Wladimir Putin noch keinen Ausweg. Wie könnte die Eskalationsspirale gestoppt werden?
Wie endet der Krieg? Den Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine haben die USA früh vorhergesagt, schon im November warnten sie vor einer möglichen Invasion, als der Rest der Welt den anfänglichen Spekulationen noch mit Skepsis begegnete.
Nun, nach 19 Tagen der Gewalt, stellt sich die Frage: Wann zieht Russland seine Truppen zurück? Diese Vorhersage erweist sich als weitaus schwieriger.
Vieles spricht dafür, dass sich Russlands Präsident Wladimir Putin von seinem Angriffskrieg einen Blitzsieg versprochen hat. Doch das ukrainische Militär und die Bevölkerung haben eine nicht erwartete Widerstandskraft gezeigt. Mehrere Nato- und EU-Staaten, nicht zuletzt Deutschland, schicken Waffen und Geld zur Unterstützung, haben noch nie dagewesene Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegen den Aggressor verhängt – und setzen weitere ins Werk.
Alles in der Hoffnung, den Kremlherrscher doch noch von seinem Kriegskurs abzubringen. Bislang vergebens.
Russlands Angriffskrieg dauert an. Die Berichte über zivile Opfer mehren sich. Präsident Putin lässt die militärischen Handlungen offensichtlich brutalisieren, um seine Ziele noch zu erreichen. Auch der offene Wirtschaftskrieg gegen Russland hat bisher zu keinem Umdenken im Kreml geführt.
Die russische Wirtschaft ächzt unter den massiven Sanktionen, die auch den Alltag der Bürgerinnen und Bürger verändern. Sie bekommen Putins Politik nun zu spüren, gehen dagegen auf die Straße und nehmen für ihren Protest Haftstrafen in Kauf. Mehr und mehr verlassen das Land.
Doch Putin gibt sich unnachgiebig, zeigte im jüngsten Gespräch mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz offenbar kein Entgegenkommen. Die Eskalationsspirale dreht sich unaufhörlich weiter.
Inzwischen gibt es daher Stimmen, die warnen: Das russische Regime ausschließlich in eine Ecke zu drängen, könnte kontraproduktiv sein – und katastrophale Folgen haben.
"Es gibt nur eine Sache, die schlimmer ist als ein starkes Russland unter Putin"
Den Mahnungen liegt eine Annahme zu Grunde: Putin ist klar, dass er nicht mehr zurück und nur noch nach vorne kann. "Er muss die militärischen Handlungen brutalisieren, nur so kann er seine Ziele noch erreichen", sagte der Politologe und Russland-Experte Gerhard Mangott schon vergangene Woche zum stern. "Er kann nicht von seinen Forderungen zurückweichen, mit denen er diesen Krieg begründet hat." Es wäre nach den militärischen Handlungen "geradezu absurd", sein Einlenken ein "außenpolitisches Fiasko" und nicht zuletzt "eine Kriegsniederlage" für Russland.
Das schürt die Sorge, dass der Kremlherrscher im fortdauernden Kriegsgeschehen nach anderen Waffen greifen könnte. "Ein Grund, warum Putin auf die Möglichkeit extremer Taktiken wie dem Einsatz chemischer Waffen zurückgreift, ist, dass er frustriert ist, weil seine Streitkräfte nicht vorankommen", sagte Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, im Gespräch mit CBS am Sonntag.
Die westliche Allianz schließt das Schlimmste nicht aus, auch nicht die Ausweitung des Angriffs auf weitere benachbarte Länder und sogar den Einsatz von Atomwaffen. Präsident Biden hat seinem russischen Amtskollegen daher wiederholt aufgezeigt, wo die roten Linien verlaufen: "Jeden Zoll" des Nato-Gebiets werde man gegen einen russischen Angriff verteidigen. Am Samstag verhängten die USA, die EU und andere Verbündete neue Sanktionen. "Putin ist der Agressor", sagte Präsident Biden, "und Putin muss den Preis zahlen."
Doch weder ist ein Abbruch der Invasion, noch ein Weg aus der Eskalationsspirale zu erkennen. Diese Ausweglosigkeit gibt Thomas Friedmann, Kolumnist der "New York Times", Anlass zur Sorge. "Denn es gibt nur eine Sache, die schlimmer ist als ein starkes Russland unter Putin – und das ist ein schwaches, gedemütigtes Russland, das zerbricht und sich in einem anhaltenden internen Führungsaufruhr (...) um die Macht und um all die Atomsprengköpfe (...) streitet", schrieb er in einem Meinungsbeitrag.
"Es ist Zeit, Russland eine Ausfahrt anzubieten", fordert Wang Huiyao, Gründer und Vorsitzender des Think Tanks "Center for China and Globalization", in einem Gastbeitrag für die "New York Times". "Wir befinden uns in einer Eskalationsspirale. Der zunehmende Druck auf Putin wird die Situation wahrscheinlich noch gefährlicher machen", glaubt der Politikberater. Der russische Präsident könnte dem Glauben aufsitzen, immer extremere Maßnahmen ergreifen zu müssen.
China könne helfen, die "Ausfahrt" zu skizzieren, so Wang Huiyao. Das Land habe politisches und wirtschaftliches Interesse am Ende des Krieges, sei mit beiden Kriegsparteien eng verwoben und könne womöglich auf Russland einwirken. Pekings Ziel müsse sein, eine Lösung zu finden, die Putin seinem heimischen Publikum "als Gewinn" verkaufen könne, während die Kernsouveränität der Ukraine geschützt werde. Das sei eine "schwierige Herausforderung" und erfordere "kreative Diplomatie", schreibt der Politikberater. Aber unmöglich sei das nicht.
Etwaige Hoffnungen der westlichen Allianz, China könnte mit seinem Einfluss vermittelnd auf Russland einwirken, wurden bisher nicht erfüllt. Peking hält weiter an seiner nichtssagenden Vieldeutigkeit im Ukraine-Krieg fest, hat den russischen Angriffskrieg bis heute nicht als solchen benannt oder verurteilt. Die Invastion stellt die "felsenfeste" Freundschaft aber auf die Probe, dem isolierten Russland bleibt praktisch nur noch sein chinesischer Partner – und Peking dürfte sich selbst am nächsten sein (mehr dazu lesen Sie hier).
Das Gefahrenpotzenzial bleibt hoch
Unterdessen setzten Russland und die Ukraine ihre Verhandlungen fort. Die Delegationen verhandelten am Montag per Video-Schalte, am Dienstag sollten die Gespräche fortgesetzt werden. Es handle sich um eine technische Pause für zusätzliche Gespräche in Arbeitsgruppen und eine "Klärung individueller Definitionen", twitterte der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak am Montag. "Die Verhandlungen dauern an."
Es war bereits das vierte Treffen in größerer Runde. Zuletzt hatten sich die Delegationen persönlich in Belarus getroffen. Bislang gab es noch keinen Durchbruch, in den vergangenen Tagen allerdings ein paar Andeutungen, an die Diplomaten anknüpfen könnten. Am Wochenende hatten sich beide Seiten vorsichtig optimistisch gezeigt.
Das einzige Szenario, das wirklich funktionieren wird, ist eines, in dem Russland sich aus der Ukraine zurückzieht", sagt Fiona Hill, einst Beraterin des früheren US-Präsidenten Donald Trump und Kreml-Kennerin in Washington. Sie sagt aber auch: "Putin kann nicht verlieren", daher müsse man "eine Art Mechanismus finden, um Putin das Gefühl zu geben, dass er etwas davon (einem Rückzug aus der Ukraine, Anm. d. Red.) hat."
Im "The Daily"-Podcast warnt Hill davor, Putin in eine Ecke zu drängen, aus der dieser nur noch mit einem Nuklearschlag herauszukommen glaube. Man müsse "eine Diskussion mit Putin durch geeignete Gesprächspartner hinter den Kulissen" führen, "um einen Ausweg aus dieser Situation zu finden."
Sie verurteilt den Angriff auf die Ukraine zwar entschieden, mahnt bei der Suche nach einer Lösung aber zur rhetorischen Vorsicht. Putin dürfe nicht der Eindruck vermittelt werden, ihn und Russland stürzen zu wollen. Das sei in etwa vergleichbar mit dem Umgang mit Tschernobyl und dem Versuch, einen Sarkophag um das Reaktorunglück zu bauen: Das Gefahrenpotenzial bleibe in all seinen Facetten bestehen.
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