Vor einem knappen Jahr veröffentlichte OpenAI seine Sprach-KI ChatGPT – und brachte damit Künstliche Intelligenz voll in den Mainstream. Doch die Firma um Sam Altmann überraschte damit nicht nur die Konkurrenz.
Es war, als wäre der Dschinni aus der Flasche gelassen worden. Als Ende November letzten Jahres ChaGPT erschien, brach in der Wahrnehmung der Gesellschaft das Zeitalter der KI an. Selbst die Vorreiter der Branche waren komplett überrumpelt. Am meisten überrascht war man aber wohl bei OpenAI. Denn das ChatGPT, das Anfangs veröffentlicht wurde, war eigentlich nur als kleiner Testballon geplant.
Das enthüllt gerade ein großes Stück der "New York Times" über den Umbruch in der KI-Branche. Demnach arbeitete das KI-Start-up im letzten November eigentlich längst an GPT-4, dem deutlich überlegeneren Sprach-Programm, das im Frühjahr veröffentlicht wurde. Weil die KI aber Probleme mit falschen Antworten, Beleidigungen und sogar Rassismus hatte, zögerte man die Veröffentlichung immer weiter hinaus. Dann wurde eine spontane Entscheidung getroffen, die in der Branche ein Lauffeuer auslöste.
Spontan-Entscheidung mit großer Wirkung
Man könne ja eine ältere Version als Machbarkeits-Nachweis veröffentlichen, soll CEO Sam Altman in einem Termin mit einigen Mitarbeitern laut nachgedacht haben. Altman, der in der vergangenen Woche mit einem Rauswurf und einer überraschenden Rückkehr zu OpenAI Schlagzeilen machte, wollte gerne der Erste am Markt sein. Nicht, um die großen wie Google oder die Facebook-Mutter Meta vor sich herzujagen. Stattdessen ging es vor allem darum, schneller als das deutlich weniger bekannte Unternehmen Anthropic zu sein. Es war ein gutes Jahr vorher von ehemaligen Angestellten OpenAIs als Konkurrent gegründet worden.
Also entschied man sich, eine ältere Version der Sprach-KI in eine Benutzer-Oberfläche zu packen. Und als ChatGPT zu veröffentlichen. Vorher konnte man den Chat-Roboter eigentlich nur mit einem tiefen Verständnis der Technologie bedienen. Keiner der Teilnehmer des Termins habe diesen als Wendepunkt der KI-Geschichte wahrgenommen, so die "NYT". "Da wird nicht mehr als ein Twitter-Thread mit 5000 Likes herauskommen", glaubte OpenAI-Präsident Greg Brockmann, als er kurz vor Erscheinen sein Team zum Feierabend auf einige Drinks einlud.
Ein Sprung nach vorne
Es sollte anders kommen. In der Branche löste ChatGPT ein Beben aus. Nicht weil man von der Technologie beeindruckt war – Google und andere hatten längst eigene Programme, die dasselbe und teilweise mehr konnten. Sondern weil man nicht damit gerechnet hatte, wie sehr sich die Normalbürger auf ChatGPT stürzen würden. Während man in den etablierten Firmen versucht hatte, sämtliche Fehler auszumerzen, um ein perfektes Produkt abliefern zu können, hatte das Start-up einfach gemacht – und trotz der zahlreichen Macken den Nerv der Nutzer getroffen.
In der Branche sorgte dieser unerwartete Hype für gewaltigen Druck – und dafür, dass die vorherige Vorsicht erstmal hinten anstehen musste. Jahrelang waren die zahlreichen KI-Ankündigungen eher auf verhaltenes Interesse gestoßen, bei Sprach-KI hatte man dasselbe erwartet. Etwas überhastet entschieden sich zahlreiche Unternehmen, dass sie jetzt nachziehen mussten. Und brachten kurze Zeit später Unmengen an Produkten auf den Markt, die vorher in den Laboren vor sich hingereift waren. Anders wäre die regelrechte Welle an KI-Assistenten auch kaum möglich gewesen: Die Entwicklung von KI über Maschinenlernen ist enorm zeitaufwendig und über so kurze Zeit schlicht nicht möglich. Bei den Kunden war der gleichzeitige Aufschlag, gemeinsam mit dem fast zeitgleichen Erscheinen von Bild-KIs wie Midjourney trotzdem ein gefühlter Start-Schuss: Das jahrelang nur in der Branche erwartete Zeitalter der KI hatte nun auch im Mainstream-Denken begonnen.
Neues Denken
Welche Folgen die spontane Entscheidung auf lange Sicht hat, muss sich noch zeigen. Der Vorsicht bei der KI-Entwicklung lag auch zugrunde, dass man die Folgen von Künstlicher Intelligenz für Wirtschaft und Gesellschaft nicht seriös vorhersagen kann. Ein Wettrennen um ungare Produkte könnte also durchaus zu Problemen führen. Bei OpenAi hatte das vor zwei Wochen zur Krise geführt: Der vorsichtige Aufsichtsrat hatte Altman als CEO geschasst, wohl auch, weil er nicht ausreichend über Durchbrüche bei der Forschung berichtet hatte und zu schnell vorgeprescht war. Jetzt ist Altman wieder fest im Sattel. Und hat den Kampf zwischen Bremsern und Vorpreschern ein zweites Mal für sich entschieden.
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