Die Temperaturen sinken, die Infektionszahlen steigen: Der dritte Corona-Herbst ist da. Und obwohl wir wissen, dass die Maske unser Infektionsrisiko elementar senken kann, verzichten viele lieber darauf. Warum sind wir so?
"Die Richtung, in die wir unterwegs sind, ist keine gute." Der Ton von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Hinblick auf die Coronavirus-Pandemie wird ernster. Und das aus gutem Grund: Die Infektionszahlen schnellen pünktlich zum Herbstbeginn in die Höhe, die Krankenhäuser kommen langsam an ihre Kapazitätsgrenzen. Trotzdem hören viele von uns mittlerweile gekonnt über die Warnungen hinweg.
Und das ist auch kaum verwunderlich: Coronavirus hier, Grippewelle da und dann ist da noch der Ukraine-Krieg, die Inflation und als wenn das noch nicht genug wäre, schwebt die Klimakrise wie ein Damoklesschwert über alledem. Ja, wir sind ausgelaugt von der Masse an Krisen, mit denen wir dieser Tage konfrontiert werden. Dass dann die Energie dafür fehlt, sich schon wieder mit der sich wiederholt zuspitzenden und für viele gedanklich schon abgeschlossenen Pandemie auseinanderzusetzen, ist mehr als verständlich.
Eigenverantwortung statt Einschränkungen
Es ist also Ihr gutes Recht, wenn Sie sich nicht durch den nächsten Text über Maskenpflicht, Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen quälen wollen – wir alle haben davon in den letzten Jahren unzählige gelesen. Trotzdem sollten Sie weiterlesen. Denn dieses Mal soll es nicht um Einschränkungen gehen, sondern um Eigenverantwortung. Und um die Frage, warum immer mehr Menschen auf die Maske verzichten, obwohl wir es doch eigentlich mittlerweile besser wissen müssten.
Beginnen wir mit der Eigenverantwortung. Jeder von uns ist zunächst erstmal für sein eigenes Wohl verantwortlich. Als im Frühjahr die allgemeine Maskenpflicht gekippt wurde, haben viele bewusst entschieden, sich ohne Mundschutz in die Menschenmassen zu stürzen. Seitdem haben sich immer mehr Menschen dieser Entscheidung angeschlossen – unabhängig von den Infektionszahlen.
Die Tatsache, dass immer mehr Menschen auf den Mundschutz verzichten, sorgt jedoch bei mindestens einer Bevölkerungsgruppe für große Probleme. Risikopatienten und ältere Menschen müssen wegen dem ausgeprägten Sicherheitsgefühl einiger Bürger weiterhin im Lockdown verharren und auf soziale Interaktion verzichten, um sich nicht mit dem für sie nach wie vor potenziell tödlichen Virus anzustecken.
Die Maske schützt vor einer Infektion
Was die einen sich an Freiheit nehmen, fehlt am Ende den anderen. Dabei trennt uns in diesem Fall nur ein dünner Stofffetzen von der Gleichberechtigung. Abgesehen davon ist das Virus nach wie vor auch für jeden Menschen ohne Vorerkrankungen ein bisschen wie Russisches Roulette – niemand weiß, was ihn bei einer Infektion erwartet.
Das ist eigentlich nichts Neues. Wir wissen, dass die Maske eines der wirksamsten und simpelsten Methoden gegen die ungehemmte Ausbreitung des Coronavirus ist. Und trotzdem drängen wir uns in engen Supermarktgängen ohne Mundschutz an anderen Menschen vorbei, setzen uns ohne Atemschutzmaske neben Fremden ins Kino oder verzichten auf die Maske, wenn wir ins Restaurant, auf Konzerte oder zu Familienfeiern gehen.
Gründe dafür gibt es gleich mehrere. Einen hat der Psychologe Marcel Brass in einem früheren Gespräch mit dem stern auf den Punkt gebracht: "Wenn ich in einen Supermarkt gehe und als einer von wenigen eine Maske trage, erzeugt das in mir einen Konflikt – und zwar zwischen meiner Überzeugung und dem natürlichen Bedürfnis zu tun, was die Gruppe tut." Und weil wir Konflikte so gar nicht mögen, versuchen wir diesen dann schnellstmöglich zu lösen. Der einfachste Weg: Maske weg und anpassen.
Dabei ist die Lösung für den Gruppenzwang beim Nicht-Maske-Tragen beinahe genauso naheliegend, wie das Problem offensichtlich ist. Denn das Phänomen funktioniert in beide Richtungen. Sobald wieder mehr Personen anfangen, einen Mundschutz dort zu tragen, wo Menschenmassen vorprogrammiert sind, werden sich mehr und mehr Menschen anschließen. Es braucht eben nur jemanden, der mit gutem Beispiel vorangeht.
Von Gewohnheitstieren und Verdrängungskünstlern
Und damit sind wir schon beim nächsten Problem: Wir Menschen sind wahre Weltmeister, wenn es ums Verdrängen geht. Und dazu noch Gewohnheitstiere. Will heißen: Nach fast drei Jahren haben wir uns schlichtweg an die neue Situation gewöhnt und begreifen das Coronavirus deshalb, ähnlich wie die Grippe, als ein notwendiges Übel in unserer Gesellschaft. Nach Jahren voller Einschränkungen haben wir keine Lust mehr, unseren Alltag anzupassen – und sei es nur durch das Tragen einer Maske.
Es ist eine Mischung aus Trotz, Verdrängung, Scham und einem irrealen Sicherheitsgefühl, die dazu führt, dass wir die FFP2-Maske selbstbewusst in der Handtasche lassen, statt sie im engen Kontakt mit anderen Menschen einfach kurz aufzusetzen. Dabei wäre das ein kleiner Schritt mit enormer Wirkung. Zur Verdeutlichung: Das Max-Planck-Institut in Göttingen hat im Dezember 2021 herausgefunden, dass selbst drei Meter Abstand zu einem anderen Menschen nicht schützen – das Tragen einer FFP2-Maske aber eben schon.
Und ja, es gibt natürlich auch soziale Argumente gegen das Tragen eines Mundschutzes. Wir erkennen zum Beispiel die Gesichtszüge unseres Gegenübers nicht gut, was die Kommunikation schwieriger macht. Aber ist das oder einer der anderen eben genannten Gründe wirklich ein gutes Argument dafür, auf die Maske zu verzichten, die womöglich unseren Gegenüber und uns selbst vor einer Infektion schützen könnte? Die Frage können Sie nur für sich selbst beantworten.
Motto für den Corona-Herbst: Maske auf und durch!
Aber: Gerade im Herbst, mit sinkenden Temperaturen und kalt bleibenden Heizkörpern, wenn die Grippewelle vor der Tür steht und die Corona-Zahlen allmählich wieder in die Höhe schießen, sollten wir zumindest wieder darüber nachdenken, öfter zur Maske zu greifen. Es ist ein so kleines Übel im Vergleich zur sozialen Isolation oder gar einer symptomatischen Infektion, dass es beinahe fahrlässig ist, den Mundschutz nicht zumindest in Betracht zu ziehen.
Wir sind mittlerweile im dritten Jahr der Coronavirus-Pandemie. In den letzten Monaten haben wir sehr viel über das Virus und unser gesellschaftliches Miteinander gelernt. Zum Beispiel, welchen hohen Wert ein respektvolles Miteinander hat – und dass wir aufeinander aufpassen sollten. Die Maske ist eine niedrigschwellige Möglichkeit, anderen Menschen zu zeigen: Ich achte auf dich.
Und ganz nebenbei können wir mit einem Mundschutz dazu beitragen, die Ausbreitung des Coronavirus in dieser Herbstwelle einzudämmen. Es gibt nämlich nur zwei Wege, wie eine Pandemie endet: entweder epidemiologisch oder durch die Ignoranz der Menschen, wie Medizinhistoriker Jörg Vögele im Gespräch mit "ntv" sagt. Das Problem: es gibt nur ein “gesundes“ Ende – und wir befinden uns gerade auf der anderen Seite der Medaille. Für diesen Corona-Herbst heißt es also nochmal: Maske auf und durch – auf, dass es diesmal wirklich der Letzte ist.
Und was denken Sie daran ?