Als einziges Vakzin der Welt hat Sputnik V einen eigenen Twitter-Account: Ein Kanal, über den der Kreml mit allen Mitteln versucht, den Impfstoff zu einem Verkaufsschlager zu machen. Nur ein Beispiel der Kreml-Propaganda, gegen die die G7-Staaten nun ein Mittel finden wollen.
Am Montag hat in London der dreitägige G7-Gipfel begonnen. Auf der Agenda der Außen- und Entwicklungsminister der sieben führenden Industrienationen steht auch die Einführung eines "schnellen Widerlegungsmechanismus", mit dem man "Lügen und Propaganda oder Falschnachrichten" bekämpfen will, so die Vorankündigung des britischen Außenministers Dominic Raab. Der geplante "Widerlegungsmechanismus" habe zum Ziel, Lügen schnell zurückzuweisen und "den Menschen hierzulande, aber auch in Russland, China und auf der ganzen Welt die Wahrheit zu zeigen", sagte Raab in London.
Details zu dem vorgeschlagenen Mechanismus sind noch nicht bekannt. Laut einem Bericht der "Sunday Times" wird Raab bei dem G7-Treffen eine Studie vorstellen, der zufolge russische Trolle besonders Zeitungen in demokratischen Ländern ins Visier genommen haben, um pro-russische Ansichten zu verbreiten. "Pro-russische Trolle veröffentlichen Kommentare über die Ukraine und andere Gebiete, sowohl um die Meinung hier zu beeinflussen, als auch um in den russischen Medien wiedergegeben zu werden", sagte Raab der Zeitung.
Wie russische Staatsmedien Schlagzeilen kreieren
Tatsächlich ist in den russischen Staatsmedien in den letzten Monaten ein denkwürdiges Phänomen zu beobachten: Vermeintliche Leser-Kommentare zu Artikeln in ausländischen Medien werden dazu benutzt für Putin schmeichlerische Schlagzeilen zu stricken. So titelten etwa im vergangenen März dutzende Kreml-treue Medien: "In Deutschland bewundert man Putins 'diplomatisches Meisterwerk', mit dem er auf Bidens Beleidigung reagierte".
Die "Bewunderung in Deutschland" leiteten die russischen Propagandisten dabei aus einzelnen Kommentaren zu einem Artikel ab, der auf der Website der "Welt" veröffentlicht worden war. Dort habe ein Jürgen L. folgendes geschrieben: "Putins Antwort war ein diplomatisches Meisterwerk! Nach Bidens verbalen Angriffen während des Interviews ist es einfach großartig, ihm gute Gesundheit zu wünschen!"
Biden hatte in einem Interview des US-Fernsehsenders ABC die Frage bejaht, ob er Putin für einen Mörder halte. Putin reagierte mit Gesundheitswünschen. "Was ich ihm antworten würde? Ich würde ihm sagen: Bleiben Sie gesund! Ich wünsche ihm Gesundheit", erklärte der Kreml-Chef süffisant.
Das Prinzip ist simpel. Man pickt angebliche Leser-Kommentare raus, die dem Narrativ des Kremls entsprechen und stilisiert sie zu absoluten Aussagen hoch. Ein anderes Beispiel: Nachdem Putin sich bei einem kurzen Ausflug in die Taiga ablichten ließ, titelten die russischen Staatsmedien "Chinesische Blogger bewundern Putins Urlaub in der Taiga". "Die Nutzer der chinesischen Website Sina Weibo bewunderten die physische Form des russischen Präsidenten Wladimir Putin und seine Fähigkeiten beim Fahren eines Geländewagens", schrieb etwa das Nachrichtenportal News.ru zu der entsprechenden Schlagzeile.
Sputnik V bekommt einen eigenen Twitter-Kanal
Während diese Vorgehensweise darauf abzielt, vor allem dem russischen Publikum vorzugaukeln, sie würden von einem weltweit bewunderten, genialen Geo-Strategen geführt – ein Image, an dem seit 20 Jahren gefeilt wird – richten sich andere Kampagnen nach außen. Wie notwendig eine Strategie gegen die gezielte Propaganda des Kremls ist, zeigt der Twitter-Kanal des russischen Corona-Impfstoffs Sputnik V.
Das Vakzin ist wohl das einzige der Welt, das einen eignen Twitter-Account hat, auf dem an manchen Tagen fast stündlich Posts abgesetzt werden. "Wir teilen positive Nachrichten über Sputnik V, der Leben in 62 Ländern rettet, die Sputnik V zugelassen haben, und manchmal müssen wir Licht in die aggressive Desinformationskampagne bringen, die gegen Sputnik V durchgeführt wird", so das erklärte Ziel des Kanals, das von dem Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie betrieben wird, einem staatlichen Forschungsinstitut, das dem russischen Gesundheitsministeriums untersteht.
Jede Kiste des russischen Impfstoffs, die ins Ausland geliefert wird, wird hier zelebriert. Unermüdlich wird die angebliche Wirksamkeit von Sputnik gefeiert, die bei 97,6 Prozent liegen soll – wobei die Welt den Machern wohl aufs Wort glauben muss. Denn die Datensätze, aus denen diese Zahl hervorgehen soll, sucht man vergeblich.
Manipulation durch Verschweigen
Was man stattdessen zu genüge vorfindet, sind Verunglimpfungen anderer Impfstoffe. Mit Vergnügen teilt man etwa eine Grafik, wonach Impfungen mit Pfizer/Biontech zu noch mehr Todesfällen führen als diejenigen mit Astrazeneca. Die Botschaft dahinter: Man kann auch Pfizer nicht trauen. Im Kleingedruckten wird zwar darauf hingewiesen, dass bislang kein eindeutiger Zusammenhang zwischen den Todesfällen und den Impfungen festgestellt worden ist. Aber der Angstmacherei muss es keinen Abbruch tun.
Was hingingen gar nicht erwähnt wird, ist das Alter der Geimpften. Der Impfstoff von Biontech/Pfizer wurde zum Beispiel in Deutschland eher älteren Menschen verabreicht als der von Astrazeneca. Dass es unter Hochbetagten mehr Todesfälle gibt, dürfte niemanden überraschen.
Brasilien untersagt den Import von Sputnik
Reicht den Propagandisten das Unterschlagen von Fakten nicht mehr, werden Verschwörungstheorien in Umlauf gesetzt. So geschehen etwa im Fall von Brasilien. Die dortige Gesundheitsbehörde hat in der vergangenen Woche den Import von Sputnik V untersagt, obwohl schon Verträge zum Kauf von 30 Millionen Dosen unterzeichnet sind. Grund sind gesundheitliche Bedenken. Auf dem Twitter-Kanal von Sputnik V wird jedoch die Theorie verbreitet, die USA hätten Brasilien dazu gezwungen, auf den russischen Impfstoff zu verzichten – eine Interpretation, die im russischen Staatsfernsehen auch den heimischen Zuschauern eingebläut wird.
Sputnik V ist genau wie das Vakzin von Astrazeneca ein Vektor-Impfstoff. Dafür werden Trägerviren, sogenannte Vektoren eingesetzt. Ihnen wird DNA hinzugefügt. Dadurch produzieren Zellen eines geimpften Menschen das Stachel-Protein von Sars-CoV-2, welches im Körper die gewünschte Immunantwort auslöst.
Bei Sputnik gibt es nun die Befürchtung, dass das Trägervirus der zweiten Impfdosis aktiv ist und sich Geimpfte somit ein anderes Virus spritzen lassen. Dies kann im schlimmsten Fall gefährlich werden. "Der Impfstoff hat das Potenzial, ein genetisch verändertes Adenovirus zu erzeugen, dessen Reaktion im menschlichen Körper und dessen potenzielle Risiken nicht bekannt sind", erklärte der Leiter der brasilianischen Arzneimittel-Agentur, Gustavo Mendes, gegenüber CNN Brasilien. Die vermehrungsfähigen Viren können "in Personen mit Immunschwäche Probleme bringen und auch in anderen Personen vermehrt zu Nebenwirkungen führen", erklärte der Immunologe Carsten Watzl auf Twitter.
Die mangelhafte Datenlage in Russland verstärkt die Bedenken gegenüber Sputnik V. Es gebe keine Studien, die die Sicherheit des Impfstoffs belegen. "Das Vorsorgeprinzip hat uns dazu veranlasst, ihn nicht zu empfehlen", so Mendes. Doch dies erfahren weder die russischen TV-Zuschauer noch die Follower des Sputnik-Twitter-Kanals.
Unterdessen gehen die Impfungen gegen das Coronavirus in Russland selbst nur schleppend voran. Bislang wurden nur neun von 144 Millionen Menschen geimpft.
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