Es waren grauenhafte Aufnahmen, die Tierschützer stern TV vor zwei Jahren zur Veröffentlichung zugespielt hatte. Der verantwortliche Schweinezüchter aus Merklingen wird für die unhaltbaren Zustände in seinen Ställen nun zur Rechenschaft gezogen: Er muss ins Gefängnis.
Verletzte und kranke Schweine, eingequetschte Tiere und nicht entsorgte Kadaver: Was Tierschützer Friedrich Mülln von der "Soko Tierschutz" in einem Mastbetrieb im süddeutschen Merklingen vorfand, habe selbst er noch nie gesehen. Ein angeblich dem Tierwohl verpflichteter Landwirt aus Merklingen führte hinter den verschlossenen Türen einen Qualbetrieb. Die Tierschützer deckten die Zustände auf, indem sie die Aufnahmen stern TV 2016 zur Vöffentlichung übergaben. Die Staatsanwaltschaft leitete infolge der Berichterstattung Ermittlungen ein.
Am Freitag hat das Amtsgericht Ulm den verantwortlichen Schweinezüchter nun zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Laut Urteilsbegründung seien Hunderte Schweineinfolge der desolaten Zustände in dem Stall gestorben oder hätten wegen ihrer massiven Verletzungen getötet werden müssen. Die Aufnahmen, die wir vor zweieinhalb Jahren gezeigt haben dokumentierten das unfassbare Ausmaß der Tierqualen: abgemagerte Schweine mit offenen Wunden und angefressenen Ohren, dazwischen sogar tote Tiere, die nicht entsorgt wurden. Trotzdem waren die Produkte des Züchters bis zu den Recherchen von stern TV und der „SOKO Tierschutz e.V.“ mit drei Gütesiegeln ausgezeichnet gewesen.
"Diese Bilder machen mich sprachlos. Das sind so grobe Tierschutzverstöße in einem so widerlichen Ausmaß, wie ich sie so noch nie gesehen habe", sagte die von stern TV zur Beratung hinzugezogene Fachtierärztin Diana Plange zu den Bildern. Auch viele unserer Zuschauer forderten in den über 5.000 Facebook-Kommentaren damals die sofortige Schließung des Hofs. Inzwischen sind die Ställe geschlossen. Der Schweinezüchter muss für drei Jahre ins Gefängnis.
Tierquälerei in der Schweinemast – garniert mit Gütesiegel
Tiere mit offenen Wunden, angefressenen Ohren oder tellergroßen Geschwüren. Daneben Kadaver verwesender Schweine. Die Bilder schockieren. Der Mastbetrieb, in dem sie aufgenommen wurden, schmückt sich dennoch mit Gütesiegeln. Tierschützer bringen den Skandal nun ans Licht.
"Ich mache das seit 23 Jahren, ich habe hunderte Schweineställe gesehen. Auch in China oder Ungarn. Aber so etwas wie hier in Merklingen habe ich noch nie erlebt." Der Tierschützer Friedrich Mülln dokumentiert seit den 90er Jahren unsägliche Haltungsbedingungen in Mastbetrieben. Doch diese Bilder schockieren selbst ihn: Schweine, die Schmerzen und Qualen erleiden, verletzte Ferkel, dazwischen tote Tiere, die nicht einmal entsorgt werden. Offene Wunden, Dreck und Elend – mitten in Baden-Württemberg.
Und doch schmückte sich der Hof – trotz dieser Missstände und eigentlich üblicher Kontrollen – mit gleich drei Gütesiegeln: dem QS-Prüfzeichen (s. Kasten unten), dem Qualitätszeichen Baden-Württemberg (QZBW) und dem Siegel der "Initiative Tierwohl" (Lebensmittelhandel).
Im Kundenmagazin der bekannten schwäbischen Metzgerei-Kette Dietz, deren Produkte auch durch Edeka, Rewe und andere Supermarktketten vermarktet werden, darf sich der betreffende Landwirt noch dazu als verantwortungsvoller Lieferant präsentieren, dem das Tierwohl am Herzen liegt. Sein abgedrucktes Statement: Ich will, dass es den Tieren gut geht. Der Landwirt beliefert die Metzgerei-Kette Dietz bereits seit Jahren mit Fleisch.
"Grobe Tierschutzverletzungen in einem widerlichen Ausmaß"
Friedrich Mülln machte die erschreckenden Aufnahmen Ende September und Anfang Oktober. Darunter auch so eng eingepferchte Schweine, dass ihre Rüssel und Beine in den Gang herausragen. Der Tierschützer hat die Buchten vermessen: 8 Quadratmeter für 17 ausgewachsene Schweine. Das bedeutet 0,48 Quadratmeter je Schwein. Laut Tierschutznutztier-Haltungsverordnung muss ein Schwein dieser Größe mindestens 0,75 Quadratmeter Platz haben. Außerdem filmte Mülln neben weiteren erschreckenden Zuständen stark abgemagerte Schweine, die in ihrem eigenen Kot und Urin lagen, Tiere mit angefressenen Ohren und tellergroßen abgestorbenen Hautstellen, Schweine mit faustgroßen Abszessen auf dem Rücken, Schweine mit gebrochener Bauchdecke. Die meisten der verletzten Tiere konnten sich kaum noch regen.
stern TV zeigte die Bilder der Fachtierärztin und Gutachterin für Tierschutz Diana Plange in einem Zusammenschnitt. Ihre Reaktion: "Diese Bilder machen mich sprachlos. Das sind so grobe Tierschutzverstöße in einem so widerlichen Ausmaß, wie ich sie so noch nie gesehen habe." Die großen, schwarz verfärbten Wunden am Hinterteil der Schweine schockierten sie besonders. "Schweine als hochentwickelte Säugetiere haben das gleiche Schmerzempfinden, wie wir. Wenn man sich klar macht, dass ein Schwein dann von hinten angefressen wird, der ganze Schwanz praktisch weg ist, bis in die Wirbelsäule hinein – das Tier muss unendlich gelitten haben oder noch weiter leiden. Das mag man sich gar nicht vorstellen." Es seien zudem alte Verletzungen, die auf langfristige Missstände hindeuteten, so Diana Plange. Dem Landwirt müsse eigentlich umgehend die Betriebserlaubnis entzogen werden.
Schweinemäster arbeitet in eigener Kontrollbehörde
Gemeinsam mit Friedrich Mülln hat stern TV den verantwortlichen Landwirt in Merklingen bei sich auf dem Hof mit der Tierquälerei konfrontiert, die ganz offensichtlich hinter seinen Stalltüren vor sich geht. Doch der Stallbetreiber reagierte weder auf ein Gesprächsangebot, noch auf den Fragenkatalog, den das Redaktions-Team ihm hinterließ. Derweil machte Tierschützer Mülln die Behörden auf die katastrophalen Zustände aufmerksam. Kurz darauf erschien auf dem Hof des Landwirts ein Mitarbeiter des Landratsamts Alb-Donau-Kreis, das für die Kontrollen zuständig ist. Pikanterweise findet sich auf der Telefonliste dieses Landratsamts auch der Name des Merklinger Landwirts – der Schweinemäster arbeitet dort selbst, wie die Behörde uns bestätigte. "Das hat schon – wie man im Schwabenland sagen würde – ein arges Geschmäckle, dass solche Leute in der eigenen Kontrolleinrichtung arbeiten. Da braucht man sich nicht mehr wundern", so Friedrich Mülln.
Auch die Metzgerei Dietz wirbt auf ihrer Homepage mit "regelmäßige(n) Kontrolle(n) unserer Lieferanten durch Auftragsanalysen." Auf Anfrage erhielt stern TV jedoch lediglich eine schriftliche Stellungnahme, in der es heißt: Selbstverständlich haben wir auch einen unserer Mitarbeiter zum Betrieb von Herrn S. geschickt, um die Vorwürfe zu überprüfen. Auch er konnte diese bei seinem Besuch nicht nachvollziehen. Der einzige Fund war ein totes Schwein, welches sich korrekterweise in der dafür vorgesehenen Tonne befand.
Tierschützer Mülln hatte dieses Ferkel ebenfalls gesehen. Für ihn trug es klare Merkmale, die auf ernste Tierschutzvergehen hinweisen. Das schlimmste seien für ihn aber die toten Schweine gewesen, die er wenige Tage zuvor in den Gängen der Ställe entdeckt hatte. "Das kam in den Ställen mehrfach vor. Und das zeigt ja auch, wie da mit Hygiene umgegangen wird. Wie kann man ein Tier in den Ställen verwesen lassen? Sprich: Es wurde entdeckt, aber der Mäster war zu faul, es zu entsorgen", so Friedrich Mülln. Darüber hinaus machte der 36-Jährige per versteckter Kamera auch längerfristige Aufnahmen in den Ställen, die zwei Mal dokumentieren, wie der Landwirt ein Schwein mit einem Hammer tötet. "Es war zu sehen, dass die Tiere bei vollen Bewusstsein waren", sagt Fachtierärztin Diana Plange zu den Aufnahmen. "Und die Aktion mit dem Hammer diente nicht dazu, die Tiere zu betäuben, sondern sie zu erschlagen. Das ist ein deutlicher Verstoß gegen die Tierschutz-Schlachtverordnung."
Bis zu diesem Zeitpunkt galt offenbar das Motto: 'Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.' Alle Kontrollen hatten versagt. "Siegel besagen nichts", so die enttäuschte Erkenntnis der Fachtierärztin Diana Plange. "Sie suggerieren dem Verbraucher bloß eine gehobene Qualität, die es nicht gibt."
Die Recherchen von stern TV und Soko Tierschutz haben zumindest in diesem Fall Reaktionen ausgelöst. Und so traf in den vergangenen Tagen Stellungnahme um Stellungnahme in der Redaktion ein. Die Metzgereikette Dietz erklärt in einer ergänzenden Stellungnahme, dass sie mit sofortiger Wirkung die Geschäftsbeziehungen mit dem besagten Landwirt eingestellt hat und ergänzt in einer dritten Stellungnahme: Gleichzeitig mussten wir erkennen, dass die Kontrollen öffentlicher Stellen wie auch anerkannter Zertifizierer nicht in jedem Fall ausreichen (…). Deshalb wolle Dietz in Zukunft (…) jeden einzelnen landwirtschaftlichen Lieferanten selbst kontrollieren.
Das Landratsamt Alb-Donau-Kreis, in dem der betreffende Landwirt arbeitet, erklärt nach mehreren Kontrollen: Bei den aktuellen Prüfungen und Kontrollen wurde festgestellt, dass von den über 1.200 Mastschweinen rund 15 Prozent Erkrankungen und Verletzungen aufwiesen. (…) Etwa 40 bis 50 Tiere müssen nach jetzigem Stand aus Gründen des Tierschutzes sofort getötet werden. Letztlich wurden es mehr als 70 Schweine, die notgeschlachtet werden mussten. Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Landwirt Ermittlungen wegen Tierquälerei aufgenommen. Und endlich wird ihm auch verboten, sich mit Qualitätssiegeln zu schmücken.
Was bedeutet das QS-Prüfzeichen?
QS steht für Qualität und Sicherheit. Das Unternehmen, das das Prüfzeichen vergibt, ist eine GmbH, gegründet durch fünf große Verbände aus der Land- und Ernährungswirtschaft, wie zum Beispiel dem Deutschen Bauernverband.
Wer kriegt das QS-Prüfsiegel?
Das QS-Prüfzeichen wird an durch das Unternehmen kontrollierte Betriebe aus der Lebensmittel- und Fleischindustrie vergeben. Jeder, der Mitglied des Systems ist und das Siegel verwendet, muss einen Beitrag zahlen. Landwirtschaftliche Betriebe zahlen nur einen geringen Beitrag von rund 20 Euro pro Jahr. Höhere Beiträge – zur Finanzierung des QS-Systems – werden von Lebensmittelketten, Futtermittelherstellern oder Schlachtereien mit einem großen Umsatz gezahlt. Auch sie schmücken sich gerne mit dem Label.
Was wird kontrolliert?
Voraussetzung für das QS-Prüfzeichen ist mindestens die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen für z.B. Tierschutz, Fütterung, Haltung und Hygiene, in einigen Punkten auch darüber hinaus (z.B. Antibiotika, Salmonellen, Schadstoffe in Futtermitteln). QS selbst schreibt dazu: Die Einhaltung dieser Anforderungen haben alle QS-Systempartner jederzeit sicherzustellen.
Wie wird kontrolliert?
Der Landwirt dokumentiert selbst die Abläufe im Betrieb, anhand von QS-Checklisten. Diese Checklisten werden bei regelmäßigen Kontrollen überprüft, ebenso wie die o.g. Kriterien und Produktionsprozesse. Dabei werden Bewertung von 1 bis 3 vergeben (1= vorbildlich). Bei einer guten Bewertung wird seltener kontrolliert, etwa nur alle drei Jahre. Der betreffende Hof in Merklingen wurde einst mit 1 bewertet und deshalb seltener kontrolliert.
Neben den angekündigten Kontrollen (alle 1-3 Jahre) gibt es laut QS auch unangekündigte Stichprobenkontrollen oder anlassbezogene Kontrollen durch unabhängige Prüfer (deutschlandweit ca. 700/Jahr). Insgesamt ist das sogar noch häufiger, als beispielsweise durch die Veterinärämter.
Sind die Anforderungen nicht (mehr) erfüllt, wird dem betreffenden Landwirt die Lieferberechtigung entzogen. Er bleibt "gesperrt", bis die Mängel behoben sind. Dies ist im Fall des Merklinger Landwirts inzwischen passiert.
Wer trägt das QS-Prüfzeichen?
In der Lebensmittelkette Fleisch- und Fleischwaren tragen rund 77.000 Landwirte das QS-Prüfzeichen, darunter 32.100 landwirtschaftliche Betriebe, die sich auf Schweinehaltung konzentrieren.
Kritik
Die Kritik geht dahin, dass das Prüfzeichen dem Verbraucher eine besondere Qualität suggeriert, im Grunde aber nur aussagt, dass gesetzliche Mindeststandards eingehalten werden. Insgesamt tragen 90 Prozent des gesamten Marktes von Schweine- und Geflügelfleisch herstellenden und verarbeitenden Betrieben das QS-Prüfsiegel. So wird dem Unternehmen teils vorgeworfen, die Qualitäts- und Sicherheits-Anforderungen bewusst nah an den ohnehin geltenden Gesetzen zu halten, um Mitglieder und Landwirte nicht abzuschrecken.
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