Die USA sprechen vom "Anfang" einer Invasion, die Ukrainer schon seit Jahren von Krieg, und in Deutschland gilt das, was in der Ostukraine passiert eher als Konflikt oder Krise. Gibt es überhaupt einen richtigen Begriff dafür?
"Der große Krieg, vor dem wir so zittern, ist ausgeblieben. Trotzdem droht er uns weiterhin", schreibt die polnische Zeitung "Rzeczpospolita". Für die US-Regierung ist die Anerkennung der ostukrainischen Separatistengebiete der "Beginn einer Invasion". In Deutschland neigen Medien und Politik immer noch eher zu den Begriffen Konflikt oder Krise, wenn es um die Ereignisse an der Grenze Russlands geht, die der Kreml gerade dabei ist, weiter Richtung Westen zu verschieben. Wie also soll man das alles nennen?
Die Ukrainer nennen es Krieg
Wie so oft, kommt es darauf an, wen man fragt. Zunächst ist ein Krieg immer ein Konflikt (und eine Krise) und eine Invasion meist ein Krieg. Umgekehrt gilt das nicht unbedingt. Ende 2013 erhoben sich in Kiew die Menschen gegen den russlandfreundlichen Kurs des damaligen Präsidenten. Kurz darauf begann in Teilen des Ostens wiederum ein Aufstand von russlandfreundlichen Separatisten, der in einer Art Bürgerkrieg mündete. Hier aber hakt es schon mit dem Begriff. Denn die Rebellen wurden von Russland unterstützt, sowohl mit Waffen als auch mit Soldaten, im Grunde handelte es sich um einen Angriff auf die Ukraine.
Viele Ukrainer nennen die Ereignisse im Osten ihres Landes daher auch schlicht Krieg. Was soll man auch anderes über einen militärisch ausgetragenen Konflikt sagen, bei dem in acht Jahren rund 13.000 Menschen bislang ums Leben gekommen sind? Im Podcast des ARD-Weltspiegels kommen zu dem Thema zwei gebürtige Ukrainer zu Wort.
Als der russische Präsident Wladimir Putin verkündet hat, die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk als "Staaten" anzuerkennen, erklärte er auch sofort, Militär dorthin entsenden zu wollen. Da die Donbas-Region völkerrechtlich zur Ukraine gehört, ist diese Ankündigung nichts anderes als die Ankündigung einer Militärinvasion – was allerdings nicht unbedingt Krieg bedeuten muss. Denn in der Kohle-Gegend leben bereits viele Russen oder solche, die es in den letzten Jahren geworden sind. Vor allem aber orientieren sich dort die Menschen eher Richtung Osten als Richtung Westen. Die von Putin "Friedenstruppen" genannten Einheiten werden in den Separatistengebieten wohl eher mit Freude begrüßt werden.
Welche Gebiete genau hat Russland anerkannt?
Ob das allerdings auch für Rest der Ostukraine gilt, ist offen. Denn die jetzt von Russland (und möglicherweise auch von Syrien) anerkannten "Staaten" sind deutlich kleiner als bisher bestehenden Verwaltungsgebiete Donezk und Luhansk. Fraglich aber ist, ob die dortigen Machthaber (sowie Moskau) auch Anspruch auf den Rest der Region erhebt. Einige Experten gehen davon aus, dass sie wegen ihrer industriellen Bedeutung im Visier des Kremls sind. Der politische Vorwand dafür wird bereits in den russischen Medien konstruiert, wo von Söldner-Aktivitäten gegen Russland die Rede ist.
Ultrarealpolitiker könnten einwenden, dass die beiden Separatistenrepubliken für die Ukraine ohnehin verloren sind, die Menschen dort russisch sprechen mit Rubel bezahlen und auch mit Moskau eng verbrüdert und verschwestert sind. Russische Soldaten sind nach dieser Sichtweise auch keine Invasoren, sondern Freunde. Schwieriger wird diese Argumentation, wenn das Militär in den Rest der beiden Oblasten (Verwaltungseinheiten) vorrückt. Dann würde aus der Krise endgültig eine Invasion und schlimmstenfalls ein Krieg.
USA: "Anfang einer Invasion"
Weil begriffliche Spitzfindigkeiten auf außenpolitischer Ebene schnell ernsthafte Konsequenzen haben kann, druckst selbst die US-Regierung (noch) herum. Auf CNN etwa sagte Jon Finer, Vize-Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden: "Eine Invasion ist eine Invasion, und das ist es, was hier passiert. Aber Russland ist schon seit 2014 in die Ukraine einmarschiert", sagte er. Auf Nachfrage wieso er Russlands jüngste Handlungen nicht uneingeschränkt als "Invasion" bezeichne, sagte Finer, er könne es nicht viel deutlicher sagen. "Das ist der Anfang einer Invasion."
Und was denken Sie daran ?