Frederick ist sieben Jahre alt und darf, wie alle Hamburger Kinder, wieder an einzelnen Tagen in die Schule kommen. Doch während seine Klassenkameraden mit den vorgeschriebenen Abständen im Klassenzimmer lernen, soll der Erstklässler hinter einer Glasscheibe sitzen und zugucken.
Der Grund: Frederick hat das Down-Syndrom. Seine Eltern sind schockiert von der Ankündigung der Schule: Gilt Inklusion in Zeiten von Corona nicht mehr?
Frederick soll in einem Nebenraum Klassenzimmers untergebracht werden, um dort allein mit einem Betreuer die Corona-Vorschriften zu üben. Der Gruppenraum ist mit einer Tür abgetrennt, verfügt aber über eine Glasfront, sodass Blickkontakt mit der Klasse besteht. „Zu Beginn des Schulbesuchs nach den Maiferien wird sich Frederick zunächst einzeln mit Herrn ... an die neue Situation und die Regeln gewöhnen“, heißt es in einem Schreiben der Louise-Schroeder-Grundschule an Fredericks Eltern.
Kind mit Down-Syndrom: Vater kritisiert Grundschule
Fredericks Vater Ralf von der Heide (57) kommentiert sarkastisch: „Sobald Frederick die Abstands- und Hygieneregeln verinnerlicht hat, darf er unter Auflagen den gläsernen Käfig auch verlassen.“
Von der Heide sieht darin einen Bruch mit dem Inklusionsgedanken, einen Rückschritt in Zeiten, in denen Kinder mit Behinderungen keinen Platz neben nicht-behinderten Kindern hatten: „Mit dieser Maßnahme wird unserem Sohn und auch den anderen Kindern vor Augen geführt, dass Frederick anders ist und nicht dazu gehört."
Seine Befürchtung: „Damit wird Freddy großes Leid zugefügt. Er wird diese Behandlung als unfaire Bestrafung verstehen.“ Der Schule, so sein Vorwurf, mangele es an „Liebe, Fantasie und Empathie."
Frederick, ein fröhlicher Wirbelwind, weiß, was Corona ist, dass es die Menschen krank macht und er deshalb auf der Straße viele Menschen mit Masken im Gesicht sieht: „Er ist da vergleichbar mit einem Kitakind“, sagt sein Vater.
Inklusion hinter der Glasscheibe
Ralf von der Heide befürchtet, dass sein Sohn den Rest des Schuljahres von seiner Klasse durch eine Glasscheibe getrennt bleibt: „Wenn die Bedingung für die Teilnahme am Unterricht ist, dass er die Abstandsregeln verlässlich einhält, dann wird das nichts. Das hat mit Inklusion nichts mehr zu tun.“
Abstand zu halten, das sei ja für jeden Erstklässler schwer, wie soll das erst ein Kind mit Down-Syndrom, das wie Frederick liebend gerne kuschelt, verstehen? „Wenn man ihm das begreiflich machen könnte, hätte er keinen Förderbedarf", so sein Vater.
Linke: Corona wirft Inklusion zurück
Auch die Bundestagsfraktion der Linken ist empört über das Vorgehen an der Altonaer Grundschule: „Die Corona-Krise wirft die schulische Inklusion ins letzte Jahrtausend zurück", kritisiert Sören Pellmann, Sprecher für Inklusion und Teilhabe: „Kinder mit Einschränkungen werden ausgesondert und diskriminiert." Der Bundespolitiker nimmt die Hamburger Politik in die Pflicht: „Die Hamburger Landesregierung muss unverzüglich rechtskonforme und menschenwürdige Lösungsansätze einführen, um ihren Verpflichtungen zu inklusiver Beschulung nachzukommen."
Inklusion und Corona: Das sagt die Schulleiterin
Die Hamburger Schulbehörde hat auf MOPO-Anfrage eine Stellungnahme der Schulleiterin Patricia Renz geschickt. Renz verwehrt sich gegen den Eindruck „wir würden Kinder hinter Glasscheiben wegsperren und sie nur zugucken lassen."
Tätsächlich sollen „einzelne Kinder, die sehr bewegungsfreudig und mit der Wahrnehmung der Abstandsregeln dennoch überfordert sind" zunächst in dem Gruppenraum „ankommen." Es sei aber geplant, dass diese Kinder, auch Frederick, später „eng begleitet“ am Unterricht im Klassenraum teilnehmen. Auch könnten andere Kinder den Gruppenraum nach Absprache betreten, die Tür stehe offen.
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