Wenn laute Geräusche Schwindel auslösen, die eigenen Augenbewegungen wie Scheibenwischer wahrgenommen werden und sich Gleichgewichts- oder Hörprobleme zeigen, kann eine Bogengangsdehiszenz dahinterstecken. Diese seltene Innenohrerkrankung wurde erst 1998 entdeckt und ist bis heute wenig erforscht.
Was ist eine Bogengangsdehiszenz?
Was sind die Ursachen einer Bogengangsdehiszenz?
Was sind die Symptome einer Bogengangsdehiszenz?
Wie erkennt der Arzt eine Bogengangsdehiszenz?
Wie wird die Bogengangsdehiszenz behandelt?
Wie kann ich vorbeugen?
Wie sind die Heilungschancen?
Was ist eine Bogengangsdehiszenz?
Als Bogengangsdehiszenz bezeichnen Mediziner eine seltene Innenohrerkrankung, bei der die Patienten über Gleichgewichtsstörungen, Schwindel und einen Hörverlust im niedrigen Frequenzbereich klagen.
Auslöser der Beschwerden ist eine krankhafte Veränderung des Gleichgewichtsorgans: Dieses liegt im Innenohr und besteht unter anderem aus drei annähernd kreisrunden Kanälen, den sogenannten Bogengängen. Diese reagieren sensibel auf Drehbeschleunigungen. Bei Menschen mit Bogengangsdehiszenz ist die knöcherne Struktur des vorderen oder des oberen Bogengangs verändert: Die Abdeckung des Bogengangs wird immer dünner oder fehlt komplett. Dadurch entsteht eine Öffnung, die eine Verbindung vom Innenohr zum Gehirn herstellt.
Spät entdeckte Krankheit
Bisher ist über die Bogengangsdehiszenz relativ wenig bekannt. Erstmals beschrieben wurde diese Innenohrstörung im Jahr 1998 durch Forscher an der US-amerikanischen Johns-Hopkins-Universität. Der englische Begriff für diese seltene Erkrankung lautet “Superior semicircular canal dehiscence syndrome”, abgekürzt SSCDS. Als Klassifikation nach ICD-10 wird H83.8 angegeben: “Sonstige näher bezeichnete Krankheiten des Innenohres”.
Allerdings gestaltet sich die Diagnose relativ schwierig. Es gilt, die Bogengangsdehiszenz von anderen Krankheitsbildern mit ähnlichen Symptomen zu unterscheiden – etwa von bilateraler beziehungsweise unilateraler Vestibulopathie, Morbus Menière, akutem Lärmtrauma oder Bogengangsfisteln.
Was sind die Ursachen einer Bogengangsdehiszenz?
Bei Patienten mit Bogengangsdehiszenz fehlt ein Teil der knöchernen Begrenzung des vorderen oder oberen Bogengangs. Dadurch werden die Schallwellen, die das Ohr erreichen, nicht nur in Richtung der Hörschnecke, sondern auch in Richtung des Gleichgewichtsorgans weitergeleitet. Dies führt zu einer Reihe von gesundheitlichen Problemen wie Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, Druckgefühl im Ohr und Tinnitus.
Warum bei einigen Menschen das knöcherne Dach des Gleichgewichtsorgans beschädigt ist, ist noch nicht abschließend geklärt. Manche Experten sehen Unfälle im Kindesalter als Ursache und vermuten, dass diese zu einer Knochenwachstumsstörung im Schädel geführt haben. Allerdings treten die Probleme erst mit zunehmendem Lebensalter auf.
Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass die Neigung zur Bogengangsdehiszenz vererbt wird. Das verantwortliche Gen konnte aber bisher nicht lokalisiert werden.
Was sind die Symptome einer Bogengangsdehiszenz?
Die Beschädigung des sogenannten Labyrinths im Innenohr führt zu einer Reihe von gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die Bogengänge des Gleichgewichtsorgans sind nicht vollständig von Knochen umgeben, sodass es zu einem Kontakt mit der mittleren Schädelgrube und den Hirnhäuten kommt. In der Folge leidet der Patient unter Schwindelgefühlen, die sich typischerweise bei Lärm verschlimmern. Dazu kommen Gleichgewichts- und Hörprobleme.
Insbesondere Töne im niedrigen Frequenzbereich können die Erkrankten kaum oder gar nicht wahrnehmen. Gleichzeitig hören sie ihre eigene Stimme, Körpergeräusche wie Kauen und den Herzschlag sowie die Augenbewegungen im Kopf lauter als normal. Deshalb sprechen Menschen mit Bogengangsdehiszenz oft auffallend leise. Auf laute Geräusche reagieren die Patienten besonders empfindlich, es sind sogar Sturzattacken und Ohnmachtsanfälle möglich.
Zu den weiteren Symptomen der Bogengangsdehiszenz gehören ein Druckgefühl im Ohr, Kopfschmerzen, pulssynchroner Tinnitus und Oszillopsien – also subjektive Sehstörungen, bei denen die Umwelt verwackelt erscheint. Die Symptome Schwindel und abnorme Augenbewegungen, welche durch Schall ausgelöst werden, werden unter dem Begriff Tullio-Phänomen zusammengefasst. Gut zu wissen: Die charakteristischen Gleichgewichtsstörungen nehmen häufig bei Anstrengung oder Stress zu und können zu einer Gangunsicherheit führen.
Wie erkennt der Arzt eine Bogengangsdehiszenz?
Die Diagnose “Bogengangsdehiszenz” kann der Arzt mit einer speziellen Messmethode stellen. Dabei löst er durch akustische Reize einen Reflex des Gleichgewichtsorgans aus. Dadurch lassen sich die sogenannten vestibulär evozierten myogenen Potentiale messen, kurz VEMP. Darunter versteht man eine Reaktion des Gleichgewichtsorgans, die an die Muskeln weitergegeben wird und mithilfe des Elektroenzephalogramms (EEG) dargestellt werden kann.
Der Arzt kann durch diesen Test den Zustand der Otolithenorgane überprüfen. Das sind zwei Säckchen, die wie die Bogengänge zum menschlichen Gleichgewichtsorgan gehören. Die Säckchen registrieren verschiedene Körperbewegungen wie Kippen, Schwanken und Fallen und gleichen sie gegebenenfalls aus. Fällt eines der Vorhofsäckchen aus, kommt es zu Schwindelgefühlen.
Um die Diagnose zu sichern, kann zusätzlich eine Computertomographie durchgeführt werden. Hin und wieder wird die Bogengangsdehiszenz auch zufällig entdeckt, etwa während einer Operation.
Wie wird die Bogengangsdehiszenz behandelt?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um eine Bogengangsdehiszenz zu behandeln. Zunächst versucht man in der Regel, die Symptome mit Medikamenten wie Betablockern oder Kortison zu lindern. Dadurch soll der Druck im Kopf gesenkt werden. Zusätzlich können spezielle Übungen helfen, das Gleichgewicht zu verbessern.
Autogenes Training und andere Entspannungsübungen sollen Begleiterscheinungen wie Kopfschmerzen mindern. Patienten mit Gangunsicherheiten können Gehhilfen zur Verfügung gestellt werden. Bei Schwerhörigkeit wird das Tragen eines Hörgeräts verordnet.
Führen diese Behandlungsansätze nicht zum Erfolg, kann eine Operation durchgeführt werden. Dabei ersetzt der Arzt entweder die fehlende Knochenschicht des Bogengangs durch ein alternatives Material oder er verschließt die entstandene Öffnung mithilfe eines Pfropfens. Alternativ zu diesen beiden Verschlussoperationen kann auch der betroffene Bogengang durch das Mittelohr ausgeschaltet werden. Diese Variante gilt als sicherer, da die operative Abdeckung des Bogengangs das Risiko der Ertaubung birgt.
Wie kann ich vorbeugen?
Da die Ursachen dieser Erkrankung des Innenohrs noch nicht genau bekannt sind, kann man leider nicht gezielt vorbeugen.
Dennoch gibt es Vorsichtsmaßnahmen: Um das Gleichgewichtsorgan vor Schäden zu schützen, sollten physikalische Einwirkungen gegen den Kopf vermieden werden. Wer befürchtet, eine Bogengangsdehiszenz entwickeln zu können – etwa weil diese seltene Krankheit in der Familie bereits aufgetreten ist – sollte auf Kampfsportarten verzichten, bei denen gegen den Kopf geschlagen oder getreten wird.
Wie sind die Heilungschancen?
Die Bogengangsdehiszenz ist eine fortschreitende Krankheit: Die Knochenabdeckung des Bogengangs wird zunehmend abgebaut, bis sie letztlich vollständig verschwunden ist. Ohne medizinische Behandlung verschlimmern sich die Symptome deshalb zusehends.
Sucht der Betroffene frühzeitig einen HNO-Arzt auf, ist die Prognose jedoch in vielen Fällen gut. Durch die Gabe von Medikamenten und das regelmäßige Ausführen von Gleichgewichtsübungen kann eine Verbesserung des Gesundheitszustands erzielt werden.
Zeigt die medikamentöse Therapie keinen Erfolg, kann eine Operation versucht werden. Die größten Erfolgsaussichten hat hier das operative Ausschalten des oberen Bogengangs durch das Mittelohr.
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