Wie uns Tiere das Sterben erleichtern

15.09.2020 15:43

Tiere können Hausgenossen sein, Freunde und Gefährten. Und sie können dabei helfen, Abschied vom Leben zu nehmen. Doch bislang werden Tiere in der Sterbebegleitung - vor allem Hunde und Katzen - nur selten eingesetzt

Das Wort „Hospiz“ löst bei vielen Menschen Ängste aus: Hier werden keine Pläne gemacht, hier wird – etwa nach der Diagnose Krebs – nur noch gestorben. Es ist ein Ort, um Abschied zu nehmen.

In fünf Einrichtungen in Hessen ist das etwas anders. Denn hier warten Emma und Sissi an ihren Besuchstagen schwanzwedelnd auf neue Gäste. Die beiden Labrador-Damen sind als Therapiebegleithunde unterwegs mit Frauchen Ivana Seger. Schon die Ankunft neuer Gäste im Hospiz verläuft ungewöhnlich. „Es passiert fast immer dasselbe. Die Menschen bleiben kurz stehen, manche drehen sich sogar um, anscheinend, um zu überprüfen, ob sie auch wirklich im Hospiz sind. Und statt zur Anmeldung zu gehen, gehen sie immer erst zu Emma und Sissi“, erzählt die gelernte Altenpflegerin.

Ein Moment, in dem Neuankömmlinge gleich wieder vergessen, wozu sie eigentlich hier sind. „Das ist etwas, was ich auch als empathische Krankenschwester mit nichts erreichen kann“, sagt Ivana Seger. „Aber meine Hunde, oder Tiere allgemein, die schaffen das. Sie nehmen den Menschen die Schwere.“ Wer den Hunden begegne, sagt Seger, unterhalte sich nicht mehr über seine Krankheit oder die Zukunft. Sondern über Hunde. Manche Menschen fangen im Kontakt mit den Tieren aber auch erst an zu sprechen: etwa über Tiere, die sie selbst auf ihrem Weg durch das Leben begleitet haben. Über ihre Ängste und Sorgen.

Hilfe für Sterbende und deren Angehörige

Ivana Seger arbeitet seit zehn Jahren mit ihren beiden Labrador-Hündinnen in der Pflege von sterbenskranken Menschen. Und hilft mit ihren Tieren nicht nur Menschen auf ihrem letzten Weg – sondern auch deren Angehörigen, die oft überfordert und hilflos sind. Sie ist damit eine von wenigen professionellen Hundeführerinnen, die Ihre Dienste in Hospizen anbieten.

Die Soziologin Michaela Thönnes von der Universität Zürich schätzt, dass kaum zehn Prozent solcher Tierbegegnungen durch professionelle Tierbesuchsdienste ermöglicht werden. Weitaus häufiger zu Besuch sind dagegen Tiere, die von Angehörigen von zu Hause mitgebracht werden, Tiere von ehrenamtlichen Besuchsdiensten oder Vierbeiner, die Mitarbeiterinnen zur Arbeit mitbringen.

„Tiere aktiv in der Palliativmedizin, im Hospiz, Altenheimen oder der häuslichen Pflege einzubinden, ist bisher nur in Einzelfällen möglich“, sagt Michaela Thönnes, Initiatorin einer Umfrage unter mehr als 650 Heimen, Pflegeeinrichtungen und Hospizen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Von den 288 Einrichtungen, die geantwortet hatten, gab nur knapp ein Viertel an, Tiere aktiv in der Sterbebegleitung einzusetzen.

Tiere in der Sterbebegleitung sind bislang die Ausnahme

Die gelernte Krankenschwester wundert das. Denn trotz Bedenken wegen der Sicherheit und der Hygiene überwiegen die Vorzüge von Hund, Katze und Co. „Tiere sind palliative Ressourcen im Sterbeprozess“, sagt Michaela Thönnes: „Sie ergänzen die Pflegetätigkeit des medizinischen Personals und die durch Angehörige und Personal nicht immer erfüllbaren Bedürfnisse von Sterbenden nach Nähe, Vertrautheit und alltäglichen Gewohnheiten.“ Und sie lindern durch ihre Anwesenheit Schmerzen. Medikamente können sparsamer dosiert werden.

Dabei müssen es nicht unbedingt speziell ausgebildete und zertifizierte Therapiebegleithunde wie Emma und Sissi sein. Katzen werden in der Umfrage von Michaela Thönnes an zweiter Stelle genannt. Aber auch Kaninchen, Vögel oder Aquarienfische können eine beruhigende Wirkung entfalten – ebenso wie die Begegnung mit Pferden, Rindern, Schweinen oder sogar Hühnern.

"Papa, vor deiner Tür liegen zwei Hunde"

Mit ihren Hunden erreicht Ivana Seger vor allem für eines: wohltuende Ablenkung. Und für die sorgt Emma mit etwas, was Ivana Seger den „Emma-Effekt“ nennt: „Wenn Besuchstag ist, empfangen uns Gäste, die sonst gar nicht mehr aufstehen wollen, auf der Bettkante sitzend.“ Und auch in die Kommunikation zwischen Sterbenden und ihren Angehörigen bringen die Tiere Bewegung. Ivana Seger hört oft Sätze wie diesen: „Papa, hast du gesehen, vor deiner Tür liegen zwei Hunde. Sollen die mal reinkommen?“

Und Michaela Thönnes resümiert: „Tiere bringen oft Ruhe in die Sterbesituation, sie sind ein verlässliches Barometer in den letzten Stunden und Tagen. Sie spüren den Tod oft eher als wir ihn sehen, sie sind stille Zuhörer, dem sich Sterbende meist intensiver anvertrauen als einem Menschen. Sie sind in ihren Berührungen vorsichtig und sanft, und sie können mit ihrer Nähe und Zärtlichkeit Belastungssymptome mindern und medikamentösen Einsatz verringern.“

Besser als jedes Beruhigungsmittel

Auch ganz am Ende helfen Tiere. Viele Sterbende, erzählt Ivana Seger, werden, kurz bevor der Tod eintritt, von einer so genannten präfinalen Unruhe erfasst. Obwohl der Körper schon extrem geschwächt ist, bäumen sich die Menschen noch einmal auf, stöhnen laut. Und kein Narkosemittel hilft, sie zu beruhigen. Dann bietet Ivana Seger den Angehörigen an, Emma zu dem Sterbenden ins Bett zu legen. „Viele wollen das zuerst nicht“, erzählt Seger, „willigen aber ein, wenn ihnen ihre Hilflosigkeit unerträglich wird. Ich lege die Hand des Sterbenden auf Emmas Fell, und dann passiert jedes Mal dasselbe: Die Menschen seufzen auf und fangen an, gleichmäßig zu atmen.“

Wie macht Emma das? „Ich würde alles dafür geben, wenn mir das jemand sagen könnte“, sagt Ivana Seger lachend. Und wagt dann doch noch einen Erklärungsversuch: „Es ist wohl die Wärme, das weiche Fell – und vor allem die unsagbare Ruhe, die sie ausstrahlt. Mich haben schon Menschen gefragt, ob das ein echter Hund ist.“

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