Wie ein Pop-Hit von Gigi D’Agostino zur Hymne von Rechtsextremen wurde

02.02.2024 11:01

Mit "L’amour Toujours" landete Gigi D'Agostino Anfang der 2000er einen Megahit. Die einfache wie eingängige Melodie ist bis heute ein Ohrwurm. Doch in den vergangenen Monaten kaperten Rechtsextreme den Song – und missbrauchten ihn für ausländerfeindliche Parolen.

Eigentlich handelt der Song "L’amour Toujours" des italienischen DJs Gigi D'Agostino von der großen Liebe. 2001 stürmte er mit der Elektro-Ballade die Charts, bis heute verkaufte sich die Single mehr als 750.000 mal. Auf Youtube wurde der Song 450 Millionen mal abgerufen, auf Spotify knapp 410 Millionen mal. Heute, etwas über 22 Jahre nach seiner Veröffentlichung, ist der Hit Kult und löst wie kaum ein anderer Sommergefühle aus. 

Doch nun ist das eigentlich unverfängliche Lied in Verruf geraten. In sozialen Netzwerken ist es ein Trend geworden, den Refrain des Songs "umzudichten". Auf die Melodie, die im Original ohne Songtext auskommt, singen meist Jugendliche die fremdenfeindliche Parole "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus", ein Schlachtruf der Neonazi-Szene der 1980er Jahre. 

Hit von Gigi D'Agostino ist zum Erkennungszeichen der Szene geworden

Den Anfang dieser zweiten unrühmlichen Karriere nahm der Song wohl bei einem Dorffest in der Gemeinde Bergholz in Mecklenburg-Vorpommern im vergangenen Oktober, wie der NDR berichtet. Dabei wurden mehrere Besucher gefilmt, wie sie eben jene fremdenfeindliche Parole zu dem Lied von D'Agostino grölten. Der Clip verbreitete sich auf Tiktok und Instagram schnell und schlug insbesondere Wellen, weil mehrere Zeugen angaben, auch den Sohn des Bürgermeisters der Gemeinde gesehen zu haben, wie er den Schlachtruf mitsang.

Seitdem ist der ausländerfeindliche Gesang zu einem Trend und mittlerweile zum Erkennungszeichen der rechten und rechtsextremen Szene geworden – sowohl mit als auch ohne Gesang. Die eingängige Melodie findet sich heute in hunderten Videos, die rechtsextremistische Propaganda oder Ressentiments verbreiten. 

Besonders häufig ist dieses Phänomen auf Tiktok zu beobachten. Dort teilen einschlägige Accounts regelmäßig Videos von Partys oder Volksfesten, auf denen die Besucher die Parole mitsingen. In anderen Clips werden aus dem Zusammenhang gerissene Statistiken zur Kriminalität von Migranten gezeigt, unterlegt mit dem Original "L’amour Toujours" ohne Parolen – ein Augenzwinkern der rechten Szene. 

Eine Jugendsünde wird zum perfekten Propaganda-Instrument

Kräfte der Neuen Rechten nutzen die entstandenen Bilder von den Dorffesten der Republik und eben die eingängige, ausländerfeindliche Parole mittlerweile gezielt, um sie flächendeckend zu streuen. 

Vor einigen Tagen kündigte etwa der Rechtsextremist und langjährige Kopf der "Identitären Bewegung", Martin Sellner, in einem Video an, die deutsche Grenze überqueren zu wollen, obwohl es zu diesem Zeitpunkt Gerüchte gab, er sei in Deutschland zur Fahndung ausgeschrieben. Der Österreicher präsentierte sich gewohnt lässig und kündigte an, in einer Passauer Konditorei Kuchen essen zu wollen. Im Hintergrund lief beiläufig und scheinbar zufällig "L’amour Toujours", natürlich ohne die darauf gesungenen Parolen.

In der Szene jedenfalls versteht man sofort, was mit dem Song gemeint ist. Die Parole brennt sich zusammen mit dem eingängigen Dance-Hit der frühen 2000er Jahre ein. Und passt damit perfekt in die Strategie der Neuen Rechten. 

Mutmaßlich ironischer Tabu-Bruch ist Teil der Strategie der Neuen Rechten

Anders als martialisch auftretende Neonazis in den 1980er und 1990er Jahren verfolgt die Neue Rechte die Taktik, ihre Ideologie beiläufig in der Gesellschaft zu verankern. Karlheinz Weißmann, Publizist und Vordenker der Bewegung, betonte schon vor Jahren, eine Revolution sei nicht mit dem "Vorschlaghammer" umzusetzen. Seit seiner Analyse zum Zustand der Konservativen im Jahr 1986 in der Publikation "Criticón" prägt er den Begriff des "politischen Mimikry": die Strategie, über Publikationen, gefärbte Bildungsarbeit und auf den ersten Blick unverdächtig wirkende Öffentlichkeitsarbeit die Grenze des Sagbaren nach rechts zu verschieben.

Akteure wie die Identitäre Bewegung sehen sich als Wegbereiter für eine "patriotische Revolution". Sie sollen den "vorpolitischen Raum" unterwandern, die Mitte der Gesellschaft – jenseits von Parlamenten und Parteien. Erst wenn die Gesellschaft genug "bearbeitet" und damit bereit für eine Kraft der extremen Rechten sei, könne eine Revolution gelingen, so die Annahme. 

Der Missbrauch um den Hit von Gigi D'Agostino ist diesbezüglich ein Geschenk für die Neue Rechte. Es ist ein anfangs mutmaßlich ironischer und scherzhaft gemeinterTabu-Bruch. Doch wenn ein Gewöhnungseffekt eingesetzt hat, wird von dem "Scherz" letztlich nur eine menschenverachtende Parole bleiben – in der Mitte der Gesellschaft. Genau da, wo die Neue Rechte sie haben will.

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