Die Fehleinschätzung zu Afghanistan, Corona und der Wiederaufbau in den von der Flut zerstörten Dörfern im Westen Deutschlands – an Krisenthemen herrscht wahrlich kein Mangel. Im Zentrum der letzten Bundestagssitzung steht aber etwas anderes: der Wahlkampf.
In ihrer voraussichtlich letzten Rede als Kanzlerin im Bundestag hat Angela Merkel (CDU) für den Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet geworben. Gleichzeitig warnte sie am Dienstag eindringlich vor einem Bündnis von SPD und Grünen mit der Linken. "Es ist nicht egal, wer dieses Land regiert", betonte sie. Es sei eine besondere Wahl, "weil es in schwierigsten Zeiten eine Richtungsentscheidung für unser Land ist".
Die Bürgerinnen und Bürger hätten die Wahl zwischen zwei Optionen: Einer Regierung von SPD und Grünen, "die die Unterstützung der Linkspartei in Kauf nimmt, zumindest sie nicht ausschließt" oder einer von CDU und CSU geführte Regierung mit Laschet an der Spitze. "Der beste Weg für unser Land ist eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung mit Armin Laschet als Bundeskanzler", sagte Merkel. Eine solche Regierung werde für Stabilität, Verlässlichkeit, Maß und Mitte sorgen. "Das ist genau das, was Deutschland braucht."
Merkel macht Wahlkampf für Laschet
Ihre Äußerungen führten zu zahlreichen Zwischenrufen im Plenarsaal. Die Kanzlerin verteidigte die ungewöhnlich klaren Wahlkampfäußerungen: "Meine Güte, was für eine Aufregung, ich bin seit 30 Jahren, über 30 Jahren Mitglied dieses Deutschen Bundestages und ich weiß nicht, wo wenn nicht hier, solche Fragen diskutiert werden müssen, das ist die Herzkammer der Demokratie und hier wird genau das diskutiert."
Während die Linke und die AfD die voraussichtlich letzte Sitzung vor der Wahl am 26. September für eine neuerliche Generalabrechnung mit der Kanzlerin sorgten, attackierten die Redner der anderen Parteien vornehmlich den SPD-Kanzlerkandidaten, Vizekanzler Olaf Scholz. Seine Partei hat aktuell in Wählerumfragen die Nase vorne.
Scholz richtete den Blick vor allem auf die Zeit nach der Wahl. Er versprach Fortschritte beim bezahlbaren Wohnen und ein stabiles Rentenniveau. "Ein Aufbruch ist möglich", sagte der SPD-Minister. "Eine weitere von der CSU/CSU geführte Bundesregierung würde Deutschland Wohlstand und Arbeitsplätze kosten", warnte er. Steuersenkungsversprechen der Union seien unfinanzierbar und "völlig aus der Zeit gefallen".
Wahlkampf-Endspurt
Das ist Armin Laschets Zukunftsteam: Sie sollen den CDU-Kanzlerkandidaten aus dem Tief holen
Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet begrüßt bei der Vorstellung seines Zukunftsteams – das kein Schattenkabinett sein soll – den ehemaligen Fraktionschef Friedrich Merz. Laschet sagte, er habe acht Expertinnen und Experten berufen, die neue Ideen für die Zukunft hätten. Sie stünden für das, was die Union nach der Wahl am 26. September umsetzen wolle. Diese Expertinnen und Experten machten "etwas anderes als schlicht Experimente ideologischer Art".
Der Ex-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz (CDU) soll für die Bereiche Wirtschaft und Finanzen zuständig sein.
Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) ist soll sich um Digitalisierung kümmern.
Für die Bildungspolitik soll Schleswig-Holsteins Kultusministerin Karin Prien (CDU) stehen.
Die sächsische Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU) kümmert sich um den Bereich "gleichwertige Lebensverhältnisse".
CDU-Vize Silvia Breher soll das Thema Familienpolitik übernehmen.
Kulturbeauftragter des Teams ist der Musikmanager Joe Chialo, der sich in Berlin-Spandau um ein Direktmandat im Bundestag bewirbt.
Unionsfraktionsvize Andreas Jung (CDU) verantwortet die Klimaschutzpolitik
Terrorismusexperte Peter Neumann vom Londoner King’s College ist für innere und äußere Sicherheit zuständig.
Scholz, Laschet und Baerbock kritisieren sich gegenseitig
In entscheidenden Bereichen wie dem Klimaschutz oder der Digitalisierung habe sich in der Ära Merkel viel zu wenig im Land bewegt, sagte die Grünen-Kanzlerkandidaten Annalena Baerbock. Auch den Kanzlerkandidaten von Union und SPD warf Baerbock bei der Klimaschutzpolitik Untätigkeit vor. Die bevorstehende Wahl sei eine "Richtungswahl", die Klimapolitik solle für die kommende Bundesregierung anders als jetzt im Mittelpunkt stehen, forderte Baerbock. Die derzeitige Bundesregierung habe es "vermasselt", den Weg der Klimaneutralität einzuschlagen.
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner warf der Koalition aus Union und SPD vor, wichtige Weichenstellungen für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Modernisierung unterlassen zu haben. "Am Ende ihrer Kanzlerschaft ist unser Land nicht in der Verfassung, die unseren Ansprüchen genügen sollten". An die Adresse der Kanzlerin, sagte er: "Vor vier Jahren hieß es, ein Deutschland in dem wir gut und gerne leben. Heute wäre Kontinuität das größte Risiko für unser Land, denn so wie es ist, darf es nicht bleiben."
Scholz rief er zu: "Herr Kanzlerkandidat, eine gewisse Siegesgewissheit kann man Ihnen nicht absprechen. Allerdings geht es nicht darum Umfragen zu gewinnen, sondern Wahlen", warnte Lindner. "Und 1976 hat Helmut Kohl sogar die Erfahrung machen müssen, dass man Wahlen gewinnen kann und danach trotzdem keine Koalition hat."
Weidel: Deutschland ein "Hippie-Staat"
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Laschet sagte, die Sozialdemokraten würden in Regierungsverantwortung "wieder Schulden machen, und dann werden sie wieder die Steuern erhöhen, wie wir es von ihnen kennen". Süffisant dankte der Kanzlerkandidat Merkel dafür, dass sie in den Koalitionen mit der SPD "gut auf die Sozialdemokraten aufgepasst" habe. Scholz forderte er auf, "klipp und klar" zu sagen, ob er mit einer Partei wie der Linken, die Nato und Verfassungsschutz auflösen wolle, koalieren würde oder nicht.
Laschet warnte vor "kleinteiligen Maßnahmen" beim Klimaschutz. "Wir werden diese große Aufgabe nur bewältigen als globale Aufgabe". Der CDU-Politiker sprach von einer "Klima-Außenpolitik". Man werde auch mit Ländern wie China und Russland reden müssen. Als einziger Redner sprach er über Herausforderungen bei der Inneren Sicherheit. Laschet sagte, Deutschland sei ein "liberales, ein weltoffenes Land". Dennoch sei konsequentes Handeln nötig. NRW habe seit 2017 beispielsweise 35 Terror-Gefährder des Landes verwiesen.
Deutschland sei heute ein Land, "das verunsichert und gespalten ist", sagte AfD-Fraktionschefin Alice Weidel. Ein Land, dessen Wohlstand erodiert sei. Im Bildungswesen und bei der Digitalisierung sei Deutschland nur Mittelmaß. Ein weiteres ungelöstes Problem der scheidenden Regierung sei "die Migrationskrise". Kein anderes Land denke ernsthaft daran, die deutsche Energiewende zu kopieren. Deutschland sei der einzige "Hippie-Staat, der diese durchgeknallten Ideen ernsthaft umsetzen will, koste es, was es wolle".
Auch die Linksfraktion malte ein düsteres Bild. Ihr Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte, Merkel hinterlasse nach 16 Jahren Kanzlerschaft "ein Land im Krisenzustand". Das Land sei sozial, kulturell und politisch tief gespalten. Auch bei den Kosten der Corona-Pandemie werde der Normalbürger zur Kasse gebeten, während die Regierung die "fetten Konten" verschone. Vor diesem Hintergrund warb Bartsch erneut ausdrücklich für ein Links-Bündnis. Angesichts der Alternative, mit der FDP von Christian Lindner zu regieren, müssten sich SPD und Grüne fragen, ob sie ihr Wahlprogramm tatsächlich umsetzen wollen.