Völkisch, heidnisch, rechtsextrem: Das ist die Artgemeinschaft

28.09.2023 12:42

Das Innenministerium verbietet die "Artgemeinschaft". Die Gruppierung zählt zu den ältesten rechtsextremen Vereinen Deutschlands. Nach außen gibt sie sich als heidnische Religionsgemeinschaft. Doch dahinter steckt nicht weniger als nationalsozialistische Rassenlehre.

Nur eine Woche nach den Razzien gegen das Neonazi-Netzwerk "Hammerskins" hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser eine weitere rechtsextreme Bewegung verboten: Am Morgen durchsuchten Einsatzkräfte der Polizei mehr als 20 Wohnungen in zwölf Bundesländern. Ziel der Durchsuchungen war der Verein "Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." Wie bei den "Hammerskins" begründete das Innenministerium das Verbot damit, dass die Vereinigung "gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung" verstoße. Das Ministerium nimmt somit also nicht nur rechtsradikale Kameradschaften ins Auge, sondern auch völkische Vereinigungen wie die "Artgemeinschaft". 

Kitsch, Brauchtum, völkische Ideologie: Was ist die "Artgemeinschaft"?

Die "Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." zählt zu den völkisch-heidnischen Siedlungsbewegungen. Gegründet wurde sie 1951 von Alt-Nazi Wilhelm Kusserow, seit 1957 war sie ein eingetragener Verein. Die Gemeinschaft und ihre Mitglieder gaben sich nach außen bewusst traditionell. Bei regelmäßigen Treffen sah man Teilnehmer in Trachten oder Gewändern. Die "Artgemeinschaft" vertritt jedoch ein zutiefst rassistisches Weltbild und gibt sich pseudo-religiös. 

Die Ideologie der "Artgemeinschaft" fußt auf einer Mischung aus nordisch-germanischer Mythologie, heidnischem Brauchtum und nationalsozialistischer Rassenlehre. Nach außen versuchte sie über Jahrzehnte als neu-heidnische "Religionsgemeinschaft" anerkannt zu werden. Der Innenministerium zählt knapp 150 Menschen zu ihren Mitglieder. Ihr Dunstkreis wird auf 250 bis 300 Personen geschätzt. 

Grundsätzlich sah sich die Gemeinschaft als ethnische Elite, deren Aufgabe es ist, "Wahrung, Einigung und Mehrung der germanischen Art" sicherzustellen. Aus diesem Grund wurden Mitglieder der Bewegung dazu angehalten, möglichst viele Kinder zu bekommen. 

Stärkung ihrer Gemeinschaft und Ideologie erfuhren sie bei wiederkehrenden Feiern, die meist an nordische Bräuche angelehnt waren. Auf Youtube lud die Organisation unter anderem Videos von Festen zur Sommersonnenwende hoch. 

Als Erkennungssymbol galt der Weltenbaum "Irminsul". Laut Bundeszentrale für politische Bildung wurde dieses Gegensymbol zum christlichen Kreuz im Nationalsozialismus von Ahnenforschern der SS benutzt. 

Nach außen traditionell, nach innen tief rassistisch

In der Öffentlichkeit zeigte sich die "Artgemeinschaft" selten. Ihre Treffen fanden meistens in ländlichen Gebieten und im privaten Rahmen statt. Die wenigen Bilder, die nach außen drangen, wirkten auf den ersten Blick fröhlich, freundlich. Dabei aber nutzte die Gemeinschaft ihre Bräuche und den pseudo-religiösen Anstrich, um damit ihre rassistische Ideologie zu begründen und fortzuführen. 

In ihrem "Glaubensbekenntnis" heißt es, "Kampf ist Teil des Lebens; er ist naturnotwendig für alles Werden, Sein und Vergehen". Noch eindeutiger ist das von ihrem zwischenzeitlichen Anführer, dem Neonazi Jürgen Rieger, für die Gruppe verfasste "Sittengesetz". Darin wird zu "Wehrhaftigkeit bis zur Todesverachtung gegen jeden Feind von Familie, Sippe, Land, Volk, germanischer Art und germanischen Glauben" aufgerufen. 

Um sich zu finanzieren, baute die Gemeinschaft einen Kult um ihre Ideologie auf. So gab sie die "Nordische Zeitung" heraus, die germanisches Brauchtum und heidnisch-religiöse Themen behandelte. Oftmals mit klar antisemitischen Codes versehen. 

Zudem unterstützenden eine Reihe von kinderreichen Familien die Gruppierung mit Spendengeldern oder Mitgliedsbeiträgen. Eine weitere Geldquelle war ein eigener Versandhandel, in dem sich Mitglieder oder Unterstützer mit Accessoires versorgen konnten. Hier wurden unter anderem Broschüren mit Titeln wie "Deutsche Tischsprüche für Sippe und Gemeinschaft" und handgestickte Sinnsprüche wie "Deutsch auch im Glauben" verkauft.

Zentraler Knotenpunkt zu Neonazi-Netzwerken in Deutschland

Neben Verbindungen zu Gleichgesinnten in Skandinavien, Frankreich und Italien, waren Mitglieder der "Artgemeinschaft" auch tief in die Strukturen der organisierten Neonazi-Szene in Deutschland verstrickt. Nach dem Tod des Gründers Kusserow übernahm Neonazi und NPD-Kader Rieger 1989 das Ruder. Bis zu seinem Tod 2009 leitete er die Vereinigung, die heute als eine der ältesten rechtsextremen Organisationen in Deutschland gilt. Zuletzt soll der Ex-NPD-Mann Jens B. aus Sachsen-Anhalt Anführer der "Artgemeinschaft" gewesen sein. 

Bereits 2012 durchsuchte die Polizei mit einem GSG-9-Einsatz Anhänger der Gruppierung. Dabei wurden Verbindungen zur neonazistischen "Europäischen Aktion" deutlich. Zudem waren mehrere Mitglieder oder Ex-Mitglieder der "Artgemeinschaft" mit einschlägigen Vereinigungen wie der "Heimattreuen Deutschen Jugend" und dem NPD-"Bildungswerk für Heimat und nationale Identität" verbunden. 

Auch Unterstützer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU), wie Ralf Wohlleben, der im NSU-Prozess wegen Beihilfe zum Mord zu zehn Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde, verkehrte in Kreisen der "Artgemeinschaft". B. gewährte ihm zeitweise sogar Unterschlupf auf seinem Bauernhof.

Der wohl bekannteste Anhänger der Gruppierung war Stephan Ernst, der 2019 den CDU-Politiker Walter Lübcke erschoss. Wie "Der Spiegel" berichtet, stand Ernst' Name auf einer internen Mitgliederliste der Gruppe, allerdings mit dem Vermerk "keine Zahlung mehr". Von wann bis wann Ernst Mitglied der "Artgemeinschaft" war, ist unklar. 

Wie eng die Verbindungen zwischen "Artgemeinschaft", Neonazi-Strukturen und rechtsoffenen Bewegungen ist, wurde bei der "Querdenker"-Demonstration am 18. November 2020 deutlich. Fotos des antifaschistischen Rechercheportal "Exif" zeigten "Artgemeinschaft"-Anführer B. unter anderem im Gespräch mit dem "Hammerskin" Thomas G.

Die "Artgemeinschaft" hat das Recht gegen das Verbot des Innenministeriums vor dem Bundesverwaltungsgericht zu klagen.

 

Quelle