Scholz und die K-Frage: Was wird der Konsens kosten?

07.11.2023 11:06

Bund und Länder kommen zum Migrationsgipfel zusammen. Der Einigungsdruck ist groß, ebenso der Streit um die Finanzierung der Flüchtlingskosten. Kann das gutgehen?

Olaf Scholz hat die Marschrichtung vorgegeben: Deutschland muss "endlich" und "im großen Stil" abschieben, rief er in robustem Ton, düster dreinblickend und medienwirksam in den deutschen Blätterwald hinein. Klare Ansage: Wer nicht bleiben kann, muss gehen. "Es sind zu viele", sagt der Kanzler.

Nicht so klar ist, wer für die Menschen, die derzeit in Deutschland Schutz suchen, in erster Linie aufkommen soll.

Das wird die große Frage sein, die Bund und Länder bei ihrem Treffen am Montagmittag auszuboxen haben. Bei der "MPK" stehen zwar eine Vielzahl an Themen auf der Agenda, von rascheren Genehmigungsverfahren bis zum Bürokratieabbau. Im Fokus der Beratungen werden jedoch Zuwanderung und Flucht stehen, insbesondere die umstrittene Finanzierung der Flüchtlingskosten.

"Die Finanzierungsfrage dürfte bis zuletzt ein Knackpunkt bleiben, obwohl der Bund schon sehr viel leistet", sagt SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese dem stern. "Aber auch hier wird eine Einigung mit den Ländern gelingen – wir sind gemeinsam an pragmatischen Lösungen interessiert.

Übersetzt heißt das: Eine Lösung muss her, lieber früher als später.

Kanzler unter (Kosten-)Druck

Der Einigungsdruck ist groß, ein Konsens praktisch alternativlos. Städte und Kommunen fühlen sich überlastet, seit Monaten schon. Die Unzufriedenheit der Bürger wächst, auch mit der Ampel-Koalition. Während die in Teilen rechtsextreme AfD an Zustimmung gewinnt. Viele erachten die Zuwanderung nach Deutschland mittlerweile als das wichtigste Problem, um das sich die Regierung kümmern müsse.  

Dafür braucht Scholz die Länder. Sie führen die Abschiebungen durch, sind aber auch für die Versorgung und Unterbringung der Schutzsuchenden verantwortlich. Das kostet Geld. Die Ministerpräsidenten fühlen sich vom Bund im Stich gelassen,  kritisieren eine unfaire Lastenverteilung.  

Der Dissens zeigt sich schon bei den Zahlen, die Bund und Länder jeweils anführen, um ihre finanziellen Kraftanstrengungen zu untermauern. 

Die Länder taxieren ihre Ausgaben für die "flüchtlingsbedingten Kosten" im Jahr 2023 auf 17,6 Milliarden Euro. Hinzu kämen 5,7 Milliarden für die Kommunen, "zusammen mithin rund 23,3 Mrd. Euro", steht im Beschluss der letzten Länder-Runde von Oktober. Von diesen Kosten würde der Bund die Länder und Kommunen in diesem Jahr mit 3,75 Milliarden Euro entlasten. Im kommenden Jahr sollen die Zahlungen jedoch auf 1,25 Milliarden Euro gekürzt werden, heißt es in dem Papier.

"Das ist aus Sicht der Länder nicht akzeptabel", sagt Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), der Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz ist. Damit lasse der Bund die Städte und Gemeinden mit ihren Problemen alleine. Die Länder fordern daher eine Rückkehr zu einem "atmenden System", das es schon bei der Fluchtbewegung 2015/16 gegeben hat. Die grobe Idee: Je mehr Menschen kommen, desto mehr müsste der Bund zahlen. Außerdem soll der Bund je Flüchtling eine Art Kopfpauschale von 10.500 Euro pro Jahr zahlen.

Der Bund bietet derzeit 5000 Euro je Flüchtling an. Im Kanzleramt herrscht die Meinung vor, dass man mehr mache als viele denken würden. Kaum ein Gespräch mit Haushältern des Bundes kommt ohne den Hinweis darauf aus, dass sich die Ausgaben im Zusammenhang mit Fluchtmigration auf hohem Niveau befinden würden. Hier werden (wohlwollend gerechnet) um die 30 Milliarden Euro an Gesamtausgaben des Bundes veranschlagt, fast 20 Milliarden Euro davon würden an Länder und Kommunen gehen. 

Es werde schon viel geleistet – so ist das wohl zu verstehen –, schon allein für die Schutzsuchenden aus der Ukraine. Sie erhalten das Bürgergeld vom Bund. Und dann soll noch mehr drin sein?

Es dürfte kaum Zufall sein, dass Finanzminister Christian Lindner gerade keine Gelegenheit auslässt, an die knappe Staatskasse und "höhere Weisheit" der Schuldenbremse zu erinnern – wie nun in einem Gastbeitrag für den "Spiegel" –,  und gleichzeitig Leistungskürzungen für Asylbewerber ins Spiel zu bringen.

Doch nicht nur der FDP-Chef will die bisherigen Geldzahlungen auf den Prüfstand stellen. Auch die Länder können einer Umstellung auf Sachleistungen oder der Einführung einer Bezahlkarte (statt Bargeld) viel abgewinnen. Das Kanzleramt scheint hier aufgeschlossen – ob das auch für die Geldschatulle des Bundes gilt, ist jedoch fraglich.

"Es ist zwar alles gesagt, aber noch nicht von jedem"

Ungeachtet der Finanzierung sind sich Bund und Länder bei vielen Maßnahmen grundsätzlich einig. Asylverfahren sollen beschleunigt, Hindernisse bei Rückführungen beseitigt und der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden.

"Wichtige Maßnahmen hat die Koalition schon auf den Weg gebracht, um irreguläre Migration zu begrenzen und die Kommunen zu unterstützen", meint SPD-Fraktionsvize Wiese. "Nun gilt es den Fokus weiter auf umfassende Migrationsabkommen mit Herkunftsländern zu richten, damit Migration in geordnete Bahnen gelenkt wird."

Nur sind Migrationsabkommen, die viele Experten für ein zentrales Element im Kampf gegen irreguläre Migration halten, nicht schnell geschlossen. Die Vereinbarungen sind politische Schwerstarbeit, wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kürzlich in Marokko feststellen konnte. Nicht zuletzt verlangen sie Geduld. Diese Geduld geht vielen offenkundig ab. SPD-Innenpolitiker Wiese drückt es so aus: "Vor der Ministerpräsidentenkonferenz findet gerade ein Überbietungswettbewerb mit konstruktiven und weniger konstruktiven Vorschlägen zur Migrationspolitik statt", sagt er. "Nach dem Motto: Es ist zwar alles gesagt, aber noch nicht von jedem."

Jüngstes Beispiel: Ausgelagerte Asylverfahren. Union und FDP sind dafür, auch ein Abgeordneten-Trio der SPD will bei der nächsten Fraktionssitzung der Genossen einen Vorschlag dazu machen. Im Kern sieht ihre Idee vor, Migrationszentren in sicheren Drittstaaten außerhalb Europas zu errichten. Dort soll dann über Asylanträge entschieden werden. Schutzsuchende, so die Hoffnung, würden sich gar nicht erst auf den oft tödlichen Weg übers Mittelmeer machen.

"Die Idee von ausgelagerten Asylverfahren ist nicht neu und war von Innenministern der Union forciert worden", sagt SPD-Mann Wiese. Tatsächlich hat schon SPD-Innenminister Otto Schily 2004 einen ähnlichen Vorschlag gemacht. Zehn Jahre später wärmte sein Amtsnachfolger Thomas de Maizière von der CDU die Idee wieder auf. "Asylzentren in Drittstaaten sind letztendlich eine Frage des Geldes", winkt Wiese ab, zumal es kaum Länder geben dürfte, die daran ein Eigeninteresse hätten.

Womit wir wieder beim Geld wären. Ein Konsens zwischen Bund und Ländern hängt vor allem an der Klärung der Kostenfrage. Die Gespräche werden kein Selbstläufer, darüber sind sich Bund und Länder jedenfalls einig. 

 

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