Putins Propaganda-Maschinerie: Der Kreml bringt die Kinder auf Linie

22.03.2022 11:46

Der Zugang zu Facebook, Instagram und anderen sozialen Medien ist in Russland gesperrt, die Suche nach ausgewogenen Informationsquellen nahezu unmöglich. Doch Kreml-Chef Wladimir Putin geht noch einen Schritt weiter. Seine Staatspropaganda vom Patriotismus und dem Einsatz in der Ukraine wird schon den Jüngsten eingehämmert.

Es ist der Blick in den Raum, der einen kleinen Turnhalle ähnelt. Zehn Kinder stehen dort aufgereiht, in den Händen halten sie russische Fahnen oder Blätter mit einem aufgedruckten Z – dem Symbol der russischen Truppen seit dem Angriff auf die Ukraine. Hinter ihnen stehen noch zwei Erzieherinnen, die riesige russische Fahnen schwenken. Auch die Formation ist mit Bedacht gewählt: Kinder und Erzieherinnen formen ein "V" – einem weiteren Symbol des russischen Feldzugs, das nicht für den Sieg (engl. Victory) steht, sondern, wie der Kreml kürzlich erklärte, für die englische Transkription der Präposition aus dem russischen Ausdruck "Sila v pravdye", was "In der Wahrheit liegt die Kraft" bedeutet.

Ein Bild wie dieses, findet man in den vergangenen Wochen zuhauf in russischen sozialen Netzwerken, aber auch vereinzelt auf Twitter. Mal bilden die Kinder das V, mal ein Z, mal halten sie ein Z-Schild oder Russlandfahnen in der Hand. Für Kontroversen sorgte die Aufnahme aus einem Hospiz für unheilbare Kinder, die sich im Schnee zu einem Z formierten. BBC-Investigativjournalist Andrey Zakharov, der selbst nach der Deklarierung als ausländischer Agent und verstärkter Überwachung im vergangenen Dezember aus Russland floh, teilte in den vergangenen Tagen immer wieder Fotos mit kurzen Kommentaren. "Und sie sagten, Kinder sollten aus der Politik rausgehalten werden", schreibt er zu dem Foto aus dem Kindergarten.

Russland erlässt Leitfaden für den Unterricht

Kreml-Chef Wladimir Putin und seine Anhänger treiben seit Beginn des Krieges in der Ukraine das Propaganda-Spiel in Russland auf ein neues Level. Es ist die nächste Eskalationsstufe in der Verdrehung der Fakten in einem Land, in dem man für die Erwähnung des Wortes "Krieg" im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt schon für 15 Jahre hinter Gittern landen kann.

Bereits Anfang März veröffentlichte der Kreml einen Leitfaden für Schulen, wie sie ihren Schülern den Krieg in der Ukraine darstellen sollen, eine "Friedensstunde" im Unterricht ist nun obligatorisch. Demnach, so berichtete es die "Welt", sei die Ukraine überhaupt erst nach der Revolution in Russland 1917 entstanden, schnell aber ein Teil der Sowjetunion geworden, die heutigen Separatistenregionen Donezk und Luhansk sowie die Krim seien Geschenke der Sowjetregierung gewesen. Mit dem Anzweifeln des Staates und Verweisen auf ukrainische Kämpfer, die im Zweiten Weltkrieg an der Seite der Nazis kämpften, soll die "Spezialoperation" im Nachbarland gerechtfertigt werden.

Auch ein Film wird den Kindern an den Schulen gezeigt. "Verteidiger des Friedens" heißt das Stück, dass nach Angaben von Bildungsminister Sergey Kravtsov, bereits über fünf Millionen Kinder gesehen haben. Kravtsov selbst hatte die Schulen laut "Washington Post" als elementaren Bestandteil im Kampf "gegen den Informationskrieg und Psycho-Krieg des Westens" bezeichnet. Das Video ist mittlerweile verpflichtend im Unterricht, es existieren laut dem Bericht auch weitere Folgen, die darauf abzielen, Putins Krieg in der Ukraine zu rechtfertigen.

Je älter die Jugend, desto intensiver die Bemühungen des Kremls, das wahre Vorgehen in der Ukraine zu verschleiern. Die Angriffe auf ein Theater in Mariupol, in dem über 1000 Menschen Zuflucht suchten, oder die Bombardierung einer Schule in Karkiw werden im Unterricht als Fake News deklariert. Auch öffentlich dementierte Russland die Angriffe und erklärte, dass ukrainische Streitkräfte diese Ziele selbst unter Beschuss genommen hätten.

Warum gerade bei Jugendlichen und Studenten die Staatspropaganda intensiviert wird, liegt auf der Hand. Während ältere Menschen ihre Informationen aus den staatlich kontrollierten TV-Stationen und Radiosendern beziehen, greifen die jüngeren Menschen bei der Suche nach Informationen auf das Internet zurück. Damit diese dort nicht auf Kriegsbilder stoßen, sperrte Russland zuletzt mehrere Netzwerke wie Facebook, Instagram und Twitter. Für viele soziale Netzwerke wurde zudem die Geschwindigkeit gedrosselt, so dass Bilder und Videos kaum oder nur sehr langsam laden. Zahlreiche VPN-Tunnel, mit denen sich die Sperren umgehen lassen würden, wurden von der Regierung gesperrt – zuvor waren die Nutzerzahlen bei Apps wie dem Anbieter Atlasvpn binnen einer Woche nach Kriegsbeginn um bis zu 2000 Prozent gestiegen.

Dazu verbreiten die russischen Botschaften weltweit seit Kurzem auch eigene Videos, die die Meinung beeinflussen sollen. Nach dem Angriff auf ein Kinderkrankenhaus in Mariupol veröffentlichten gleich mehrere Botschaften einen eigenen "Fake-Check" und erklärten darin, dass der Angriff gar nicht stattgefunden habe, die Verletzten auf den Bildern seien Schauspieler. Da sich die Ausdrucksweisen und Fotos auf allen Kanälen gleichen, liegt hier auch eine staatlich koordinierte Kampagne nah, Twitter und Facebook löschten

Zur Feier zur "Befreiung der Krim" am vergangenen Freitag, hatten sich Schulen und Behörden etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Während Wladimir Putin im Moskauer Luschniki-Stadion statt einer triumphalen Rede zu halten Opfer einer technischen Panne wurde (Mehr zu der Veranstaltung in Moskau lesen Sie hier), erzählten mehrere Eltern aus unterschiedlichen Regionen Russlands der "Washington Post" von den Vorbereitungen zur Feier im Unterricht. Die Kinder sollten sich warm anziehen und schön aussehen, erzählt Igor Kostin der Zeitung. Weder den Eltern noch den Kindern sei aber zunächst gesagt worden, warum das so sein sollte, ergänzt der Familienvater.

Erst auf Nachfrage bei einer Lehrkraft sei ihm mitgeteilt worden, dass eine Feier zur Befreiung der Krim geplant sei. Er habe daraufhin der Schule gesagt, dass seine Tochter nicht kommen werde, da es ein Gesetz gebe, dass es verbiete, Politik in die Schulen zu bringen. Er sei er Einzige gewesen, der öffentlich seine Ablehnung zum Ausdruck gebracht habe, erklärte Kostin der Zeitung. "Jeder, der für Putin ist, kann frei seine Meinung sagen. Alle anderen aber sind eingeschüchtert." Von einer anderen Schule nahe Sankt Peterburg berichtete eine Mutter, dass die Kinder in der Schule dazu genötigt worden sein, in weißen T-Shirts ein V zu bilden

Dass viele Lehrer aber auch gegen das Verhalten des Kremls sind und welche Folgen das hat, zeigt das Beispiel von Kamran Manafly. Der Geographielehrer postete zwei Wochen nach Kriegsbeginn auf Instagram einen Anti-Kriegs-Beitrag und stellte sich gegen die Propaganda in den Schulen. "Ich will kein Spiegel der Staatspropaganda sein", heißt es dort in dem Beitrag des 28-Jährigen. Er und viele andere Lehrer hätten eine eigene Meinung, die nicht der Meinung des Staates entsprechen. "Wir müssen so leben, dass unser Gewissen uns nicht quält", schreibt Manafly. Nur zwei Stunden, nachdem er den Beitrag am 8. März veröffentlichte, legte ihm der Schulleiter einen Rücktritt nahe, da Manafly den Post nicht löschen wollte.

Als der 28-Jährige am nächsten Tag seine Unterlagen in der Schule abholen wollte, wurde ihm der Zutritt verweigert. Da aber auch einige Schüler das Schauspiel vor dem Eingang zum Anlass nahmen, Abschied von ihrem Lehrer zu nehmen, habe jemand die Polizei gerufen da er eine unangemeldete Demonstration organisiere, erzählte Manafly der BBC. Statt der eigenen Kündigung wurde dem Lehrer zwei Tage später von der Schule gekündigt – wegen unmoralischen Verhaltens an der Arbeit. Bleibt die Frage, ob Manafly nun auch noch eine Haftstrafe drohen könnte. Die Zeitung "Novaya Gazeta" veröffentlichte die Aussage Manflys in voller Länger und erklärte, dass die Aussage nicht gegen das Gesetz verstoßen würde. Und tatsächlich: Manafly hat in seinem Post nichts über den Krieg oder die Armee gesagt, die entsprechenden Worte tauchen nicht auf. Er formulierte lediglich Kritik an der Regierung. Das reicht in Russland im Jahr 2022 bereits zur Entlassung.

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