Polyneuropathie: Wenn die Nerven verrückt spielen

16.10.2018 15:55

Ein leichtes Kribbeln in den Beinen oder vorrübergehende Taubheitsgefühle sind meist die ersten Anzeichen einer Polyneuropathie. Durch die Erkrankung ist die Reizweiterleitung der Nerven gestört, was eine Vielzahl von unterschiedlichen Symptomen hervorruft und den Betroffen das Leben erschwert. Doch in vielen Fällen ist die Erkrankung kein endgültiges Schicksal, sondern kann ursächlich geheilt werden.

Was ist Polyneuropathie?
Was sind die Ursachen von Polyneuropathie?
Was sind die Symptome von Polyneuropathie?
Wie erkennt der Arzt Polyneuropathie?
Wie wird Polyneuropathie behandelt?
Wie kann ich Polyneuropathie vorbeugen?
Wie sind die Heilungschancen bei Polyneuropathie?

Was ist Polyneuropathie?

Polyneuropathie ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, bei der mehrere verschiedene Nerven betroffen sein können. Das Wort Polyneuropathie stammt und aus dem Griechischen und heißt übersetzt „Viel-Nerven-Krankheit“(Poly=viel; Neuro=Nerv; Pathie=Krankheit).

Das periphere Nervensystem ist verantwortlich für sensible Wahrnehmungen wie Schmerzempfinden, das Spüren von Wärme und Kälte sowie Berührungen. Außerdem steuert es die motorischen Nervenbewegungen der Muskeln. Auch das vegetative Nervensystem, das die Funktion von Organen und Gefäßen regelt, gehört zum peripheren Nervensystem und kann von der Störung betroffen sein.

Durch die Erkrankung der Nerven kommt es zu Empfindungsstörungen bis hin zu Schmerzen und Lähmungen, die besonders in den Beinen und Füßen auftreten. Doch aufgrund der vielseitigen Aufgaben des peripheren Nervensystems können weitere, sehr unterschiedliche Symptome ausgelöst werden. In Deutschland leiden 5 bis 8 Prozent der Bevölkerung an der Krankheit, die häufig als Folge von Diabetes mellitus oder schwerem Alkoholmissbrauch entsteht. Je nach Verlaufsform und Schweregrad sind Betroffene im Endstadium der Krankheit womöglich auf einen Rollator oder Rollstuhl angewiesen.

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Was sind die Ursachen von Polyneuropathie?

Für die Entstehung einer Polyneuropathie gibt es über 300 verschiedene mögliche Ursachen. In bis zu 50 Prozent der Fälle entsteht die Nervenschädigung allerdings in Folge der Stoffwechselkrankheit Diabetes mellitus oder eines jahrelangen Alkoholmissbrauchs. Auch verschiedene virale (Lyme-Borreliose, Diphtherie, Pfeiffersches Drüsenfieber, Gürtelrose, Herpes-simplex-Infektionen oder HIV) und bakterielle Infektionen sowie gewisse Autoimmunmechanismen (z.B. akutes Guillain-Barré-Syndrom) können die Nerven durch Entzündung schädigen.

Des Weiteren sind Medikamente oder Drogen (z.B. Krebsmedikamente nach Chemotherapie oder Statine), Gifte und Schwermetallbelastungen (z.B. Quecksilber oder Arsen) und Vitaminmängel (Vitamin B1 und B12) eine mögliche Ursache. Häufig entwickelt sich die Polyneuropathie als Folge einer sogenannten Primärerkrankung der Nieren, der Leber, von Gicht oder Störungen der Schilddrüsenfunktion (Unter- und Überfunktion oder Hashimoto). Darüber hinaus kann eine Polyneuropathie ein erstes Anzeichen einer Krebserkrankung sein.

Aus der Vielzahl der möglichen krankheitsauslösenden Faktoren gilt es individuell herauszufinden, was genau für die Entstehung verantwortlich ist. Bei einer von fünf erkrankten Personen wird die Ursache jedoch nicht eindeutig festgestellt, in diesem Fall spricht der Arzt von einer idiopathischen Polyneuropathie.

Polyneuropathie als Folge einer Genmutation:

Neue Forschungen der Universitätsklinik für Orthopädie der MedUni Wien weisen darauf hin, dass eine Genmutation der Auslöser der Krankheit sein könnte. Als Folge dieser Mutation herrscht ein Mangel des Enzyms „Neprilysin“, der die Polyneuropathie auslösen soll.

Was sind die Symptome von Polyneuropathie?

Die Symptome können vielfältig sein und unterscheiden sich je nachdem, welche Nerven geschädigt sind. Typische Symptome sind Missempfindungen in den Gliedmaßen wie Kribbeln, Stechen, Taubheitsgefühl oder „Ameisenlaufen“. Es können jedoch auch Schwellungen und Lähmungen auftreten – ebenso wie Funktionsstörungen von Organen.

Sind motorische Nervenfasern betroffen, können Muskelkrämpfe und Zuckungen(Faszikulationen) und/oder Muskelschwund auftreten. Sind Nerven im Gehirn angegriffen, bekommen die Betroffenen Sehstörungen oder Lähmungen in der Gesichtsmuskulatur, was auch zu Sprech- und Schluckproblemen führen kann.

Sind die Nerven des vegetativen Nervensystems beschädigt, macht sich das unter anderem durch bläulich-rötliche Verfärbungen und Schwellung der Haut, Knochenerweichung, Herzrhythmusstörungen, Kreislaufstörungen, Verdauungsstörungen, Harnentleerungsstörungen oder Impotenz als Symptome bemerkbar.

Wie erkennt der Arzt Polyneuropathie?

Im Anamnesegespräch erkundigt sich der Arzt nach den Beschwerden, erfasst bestehende Grunderkrankungen (z.B. Diabetes oder eine Schilddrüsendysfunktion) und erfragt eventuellen Substanzmissbrauch (wie Drogen- oder Alkoholsucht). Im Anschluss erfolgt eine neurologische Untersuchung. Dabei werden Reflexe und Muskelkraft ebenso unterprüft wie die Wahrnehmung von Berührungen, Vibrationen und Temperatur.

Durch einen Bluttest erkennt der Arzt bestehende Vitamin-Mängel (Vitamin B 12) oder eine bis dahin unbekannte Zuckerkrankheit. Des Weiteren kann an einer Fehlstellung des Fußes (Krallenzehen, Hohlfuß) oder anderen Fehlbildungen des Skeletts (wie Skoliose) eine erblich bedingte Polyneuropathie festgemacht werden.

Wie schnell Nerven eine Erregung weiterleiten, misst die Elektroneurografie (ENG). Die Elektromyografie (EMG) wiederum zeichnet die Aktivitäten eines Muskels auf – sowohl in Ruhe als auch bei Anspannung. Eine Elektrokardiographie (EKG) kann Auskunft darüber geben, ob die autonomen Nervenfasern des Herzens geschädigt sind.

Spezielle Diagnoseverfahren:

Kann der Arzt mit den beschriebenen Methoden keine Ursache für die Polyneuropathie-Symptome finden, muss der Arzt speziellere Verfahren anwenden. So kann der Arzt durch eine Untersuchung des Nervenwassers (Liquoruntersuchung) eine entzündlich bedingte Polyneuropathie erkennen. Bei Verdacht auf eine genetische Polyneuropathie ist auch eine Erbgutanalyse möglich.

Mittels Ultraschall-Untersuchung der Harnblase kann der Arzt feststellen, ob die Blasenentleerung gestört ist, was bei einer autonomen Polyneuropathie häufig der Fall ist.

In besonders schweren Krankheitsfällen wird eine sogenannte Nervenbiopsiedurchgeführt, wofür von einem kleinen Hautschnitt des Patienten eine winzige Probe des Nervengewebes entnommen wird. Unter dem Mikroskop kann der Arzt so eine Polyneuropathie erkennen. Diese Untersuchung ist besonders bei Diabetikern notwendig, bei denen nur Nerven auf einer Körperseite geschädigt sind. Im Fachjargon heißt das asymmetrische diabetische Polyneuropathie. Bei Hinweisen auf Lepra als Ursache der Nervenschädigung wird der Arzt ebenfalls eine Nervenbiopsie durchführen.

Wie wird Polyneuropathie behandelt?

Die Polyneuropathie an sich ist nicht behandelbar, vielmehr muss die Ursache der Nervenschädigung ausfindig gemacht und kuriert werden. Besteht eine Grunderkrankung, gilt es zunächst diese zu behandeln und so ein Fortschreiten der Erkrankung zu stoppen.

Die Ursache behandeln:

Für Diabetiker bedeutet dies eine konsequente Einstellung des Blutzuckers, regelmäßige medizinische Kontrollen und eine ausgewogene Ernährung mit genügend Bewegung. Zudem helfen hochdosierte Alpha-Liponsäure-Infusionen, den Zuckerstoffwechsel zu stabilisieren und Nervenschmerzen zu linden.

Ist hoher Alkoholkonsum die Ursache der Polyneuropathie, muss der Patient auf alkoholische Getränke verzichten. Bei Vitaminmangel gilt es, diese auszugleichen und so das Fortschreiten der Erkrankung  zu verhindern. Dabei sollte allerdings beachtet werden, dass in manchen Fällen der Mangel durch eine Resorptionsstörung des Köpers hervorgerufen wird. In diesen Fällen nützt eine orale Supplementation nichts. Stattdessen sollte der Arzt die entsprechenden Vitalstoffe (besonders häufig B-Vitamine) intravenös verabreichen.

Bei Vergiftungen, beispielsweise durch Blei oder Arsen, können Bindemittel wie Penicillamin helfen, die Giftstoffe aus dem System zu schleusen. Eine erneute Exposition sollte dringend vermieden werden. Wurde die Polyneuropathie durch Bakterien ausgelöst, können diese in vielen Fällen durch Antibiotika abgetötet werden. Bei viralen Infektionen ist die Behandlung stark abhängig von der Art des Erregers.

Symptome behandeln:

Als symptomatische Therapie setzt der Arzt Medikamente gegen die Schmerzen ein. Diese richten sich nach den jeweiligen Symptomen und werden individuell auf den Patienten angepasst.  Durch die Gabe von Schmerzmitteln können die unangenehmen Reizempfindungen gedämpft werden. Hierfür verschreibt der Arzt meist Acetylsalicylsäure oder Paracetamol, auch Opioide werden in seltenen Fällen gegen starke Schmerzen verabreicht. Krampflösende Mittel (Antiepileptika) und Antidepressiva helfen den Patienten dabei, die Missempfindungen leichter zu ertragen.

Reizstromtherapie:

Für die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) setzt der Arzt auf die schmerzenden Regionen Elektroden, die elektrische Impulse an das Hautareal senden und so die Schmerzen mindern. Die Wirksamkeit dieser Therapie ist wissenschaftlich allerdings noch unbestätigt.

Bewegungstherapie und physikalische Anwendungen:

Um die Mobilität der Betroffenen so lange wie möglich zu gewährleisten, ist eine Bewegungstherapie sehr hilfreich. So wird die eventuell gestörte Motorik trainiert und Durchblutungsstörungen vorgebeugt. Auch Krankengymnastik, Wechselbäder, Bewegungsbäder, Wärmeanwendungen, Akkupunktur und Massagen kommen bei der Behandlung der Polyneuropathie häufig unterstützend zum Einsatz.

Wie kann ich Polyneuropathie vorbeugen?

Gegen Polyneuropathie gibt es keinen echten Schutz, doch durch einen entsprechenden Lebensstil kann das Risiko einer Erkrankung minimiert werden. Besonders eine zuckerarme, ausgewogene Ernährung mit vielen Ballaststoffen und regelmäßige Bewegung beugt dem Entstehen vieler Zivilisationskrankheiten vor.

Für Diabetiker ist es zudem wichtig, regelmäßig die Blutwerte kontrollieren zu lassen und auf eventuelle Veränderungen der Füße zu achten – insbesondere auf Verletzungen oder Wunden, die nicht gespürt werden.

Da durch regelmäßigen Alkoholkonsum die Wahrscheinlichkeit einer Polyneuropathie steigt, empfiehlt es sich, Alkohol nur gelegentlich zu konsumieren oder komplett darauf zu verzichten. Drogen und Umweltgifte gilt es zu meiden, und bei einer viralen oder bakteriellen Infektion sollte umgehend ein Arzt aufgesucht werden.

Wie sind die Heilungschancen bei Polyneuropathie?

Wird die Krankheitsursache rechtzeitig erkannt und beseitigt, nimmt die Polyneuropathie in den meisten Fällen einen guten Verlauf.

Werden die Auslöser jedoch nicht gefunden, kann es zu bleibenden Schädigungen der Nerven kommen. Deshalb sollte bereits bei den ersten Symptomen unbedingt ein Arzt zu Rate gezogen werden. Dies gilt besonders dann, wenn bekanntermaßen eine der Primärerkrankung vorliegt.

Durch die vielen Ausprägungen unterscheidet sich der Krankheitsverlauf von Patient zu Patient. So sind einige Formen der Polyneuropathie ursprünglich heilbar, andere müssen dauerhalt symptomatisch behandelt werden.

 

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