Geht es um Mundpflege, greifen die meisten morgens zur Zahnbürste. Immer mehr aber auch zur Flasche mit dem Sonnenblumenöl. Denn das Spülen mit Öl, das sogenannte Ölziehen, soll Bakterien bekämpfen und sogar den ganzen Körper entgiften.
Goldgelb sind die meisten – und Gold wert sind sie auch für die Gesundheit: Pflanzliche Öle aus zum Beispiel Sonnenblumenkernen, Rapssaat oder Distelsamen. Sie enthalten gesunde Fettsäuren, Vitamine und Antioxidantien – darin sind sich auch Wissenschaftler und Ärzte einig.
Weitaus weniger Zustimmung aus medizinischen Fachkreisen findet das sogenannte Ölziehen. Diese Methode stammt ursprünglich aus der ganzheitlichen Lehre des Ayurveda und wird bei uns seit den frühen 1990er Jahren vor allem von Anhängern der sogenannten Alternativmedizin beworben.
Ölziehen ist an sich ganz simpel: Auf nüchternen Magen wird jeden Morgen ein Teelöffel Pflanzenöl (im Ayurveda: Sesamöl) im Mund hin und her bewegt. Das Öl-Speichel-Gemisch wird nach einigen Minuten wieder ausgespuckt.
Was soll Ölziehen bringen?
Das Konzept der Entgiftung liegt vielen alternativmedizinischen Ansätzen zugrunde. Ausgangspunkt ist die Annahme, schädliche Substanzen würden im Körper gespeichert, ließen sich aber durch bestimmte Maßnahmen oder Mittel ausleiten.
Beim Ölziehen sollen über die Mundschleimhaut Giftstoffe und Keime wie Bakterien oder Viren aus dem Körper in das Öl übergehen und damit dem Organismus entzogen werden – eine kleine, tägliche Entgiftungskur quasi.
Die Gesundheit – so die Fans dieser Methode – soll davon auf vielfache Weise profitieren. Nicht nur Erkrankungen des Mundraums und der Zähne, auch Haut- und Verdauungsprobleme sowie Infekte sollen durch Ölziehen verringert werden.
Ölziehen für Mund und Zähne
Die natürliche antibakterielle Wirkung von Pflanzenöl ist es, die Anhänger der Methode besonders in den Mittelpunkt rücken. Dadurch soll zum einen der Zahnbelag (Plaque) verringert und Karies damit vorgebeugt werden, zum anderen eine gründliche Reinigung der Zahnfleischtaschen möglich sein, was wiederum Parodontitis verhindert.
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Hintergrund: Je tiefer die Zahnfleischtaschen – der Spalt zwischen Zahnhals und Kieferknochen – sind, desto mehr bilden sie einen natürlichen Nährboden für Bakterien, die Zahnfleischprobleme verursachen können.
Aber: Eine Reinigung der Zahnfleischtaschen – vor allem wenn sie durch mangelnde Mundhygiene vertieft sind – ist schwierig und ein Fall für den Zahnarzt oder die professionelle Zahnreinigung. Auch wenn es minutenlang durch die Zähne gezogen wird, kann das Öl die Zahnfleischtaschen von Bakterien nicht einfach so „freispülen“.
Tatsächlich existieren Studien, durchgeführt von indischen Wissenschaftlern, die darauf hinweisen, dass Ölziehen – über einen Zeitraum zwischen zehn und dreißig Tagen ausgeführt – Plaque und das Risiko für Zahnfleischentzündungen reduziert. Worauf dieser Effekt beruht, wird von den Forschern jedoch nicht erklärt. Infrage kämen eventuell auch andere Effekte, zum Beispiel ein durch die Studie gesteigertes Bewusstsein für Zahnreinigung.
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Effekte auf den restlichen Körper
Dadurch, dass Ölziehen dem Körper vermeintlich Gifte und Keime entzieht, sollen auch andere Beschwerden abnehmen: Kopfschmerzen, Verdauungsprobleme, Herz- und Gefäßkrankheiten, sogar chronische Schlafstörungen.
Solche Auswirkungen auf organische Erkrankungen oder Funktionsstörungen konnten bis dato durch keine wissenschaftliche Studie belegt werden. Das gesamte Konzept einer Entgiftung des Organismus widerspricht den heutigen wissenschaftlichen Kenntnissen unseres Körpers. Fest steht, dass die Ausscheidungsorgane wie Leber oder Nieren – sofern sie gesund sind – permanent dafür sorgen, dass schädliche Stoffe ausgeschieden werden.
Wertvolle Ergänzung oder harmloser Humbug?
Seine Anhänger sind davon überzeugt: Ölziehen wirkt – auch wenn wissenschaftliche Erklärungen weitestgehend fehlen. Bestenfalls ergeben sich tatsächlich positive Effekt dadurch, dass mit dem Öl Bakterien und andere Mikroorganismen aus dem Mundraum entfernt werden. Diese Wirkung lässt sich allerdings auch durch eine gründliche Mundhygiene mit Zahnseide und Mundspülung erzielen.
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Schlimmstenfalls ist Ölziehen Zeitverschwendung. Schaden kann der Vorgang dem Körper aber nicht – solange er nicht als Ersatz für konventionelle Mundhygiene mit Zahncreme und -bürste betrachtet wird.
Ölziehen: Anleitung
Wer es ausprobieren möchte, sollte so vorgehen:
- Morgens auf nüchternen Magen 10 bis 15 Milliliter (etwa ein Teelöffel) Sonnenblumen-, Sesam- oder Kokosöl (am besten kaltgepresst) in den Mund nehmen
- Das Öl mit leichtem Druck durch die Zähne ziehen
- Das Kinn heben und die Flüssigkeit im Mundraum von rechts nach links und von vorn nach hinten ziehen
- Etwa acht bis zehn Minuten lang spülen, bis die Flüssigkeit milchig erscheint und leicht schäumt
- Das Öl-Speichel-Gemisch in ein Taschentuch spucken
- Anschließend gründliche Zähne putzen
Idealerweise sollte Ölziehen täglich angewendet werden. Wem das zu aufwändig ist, kann es auch als Kur betreiben und etwa drei Wochen lang jeden Morgen praktizieren.