Olaf Scholz, der Alleinunterhalter: Die SPD will endlich mehr mitreden

11.01.2024 11:03

Die Mitglieder der Fraktion sind zunehmend genervt von ihrem Kanzler und seiner (Nicht-)Kommunikation, die mal als "misslungen", mal als "furchtbar" bezeichnet wird. Zu oft müssen sie aus den Medien erfahren, worauf sich Scholz mit den anderen Ampel-Spitzen verständigt hat. So war es bei den Sparmaßnahmen für den Haushalt 2024. So war es auch bei den Nachbesserungen kurz darauf, nachdem die Landwirte buchstäblich auf die Barrikaden gingen, weil sie sich von den Plänen besonders geschröpft fühlten. Zweimal zog Scholz durch. Und wer sich in diesen Tagen in der SPD-Fraktion umhört, der merkt, dass immer weniger Genossen Verständnis dafür aufbringen können, warum sie dabei gehorsam mitziehen sollen. 

Wäre das intransparente Agieren des Kanzlers – so lautet ein weiterer Vorwurf – doch wenigstens von Erfolg begleitet. Stattdessen stagniert die SPD in Umfragen (15 Prozent), die Zustimmungswerte für Scholz selbst sind verheerend (nur 19 Prozent sehen ihn für sein Amt geeignet). Ausgerechnet im Superwahljahr, in dem die Europawahl und drei Landtagswahlen in Ostdeutschland anstehen. Rutscht die Sozialdemokratie tiefer in die Krise? Kann das noch lange gut gehen? 

Eine undankbare Aufgabenverteilung

Das Grummeln der Genossen wird lauter und ist nun in aller Öffentlichkeit deutlich zu vernehmen. Die SPD-Ministerpräsidenten Stephan Weil, Manuela Schwesig und Dietmar Woidke haben sich offen gegen Subventionskürzungen beim Agrardiesel für Landwirte ausgesprochen – und damit gegen Kanzler Scholz, der diese mit Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) für den Haushalt 2024 vereinbart hatte. Immerhin Malu Dreyer aus Rheinland-Pfalz sprang Scholz bei. 

Zwar wurden die geplanten Kürzungen nachträglich entschärft. Sie sollen nun schrittweise und nicht mehr auf einem Schlag erfolgen. Aber der Unmut bleibt, nicht nur bei den Bauern. Auch SPD-Abgeordnete beklagen ein Hin-und-Her, das für Unsicherheit und Unmut in ihren Wahlkreisen sorge. Dort ist der Ton unlängst rauer geworden, berichten einige, der Wählerfrust über das gefühlte Wirrwarr sitzt offenbar tief. Rechtfertigen und verteidigen müssen sie das, die Abgeordneten, die sich in die jüngsten Pläne der Ampel-Spitzen kaum eingebunden fühlen. Eine undankbare Aufgabenverteilung.

Wie ernst die Lage ist, und wie groß der Ärger über Scholz, deutet sich in Sachsen an. Dort liegt die SPD laut einer Umfrage bei drei Prozent, könnte also demnach bei der Landtagswahl im September aus dem Landtag fliegen. Ein Schreckensszenario, das man nicht überbewerten sollte. Schließlich ist so eine Erhebung immer nur eine Momentaufnahme. Aber die Aussicht gibt Anlass zur Sorge. 

Spitzenkandidatin Petra Köpping machte die Ampel-Arbeit dafür mitverantwortlich, die Wählererwartungen enttäuscht habe und keinen Raum für landespolitische Themen lasse. Auch Sachsens Juso-Chefin Mareike Engel sieht darin einen wichtigen Grund für das Stimmungstief in ihrem Bundesland. Es müsse sich "dringend" ändern, "wie kommuniziert wird und wie in der Koalition gearbeitet wird", sagte sie dem stern. Hier sei die Bundesregierung am Zug.

Hört Scholz die Signale? Der Kanzler zeigt sich nach wie vor unbeirrt und unbeirrbar. Folglich ist die Hoffnung, an seinem Kommunikationsstil könnte sich grundsätzlich etwas ändern, in der SPD nicht weit verbreitet. 

Dabei sah es beim Bundesparteitag noch so aus, als sei Scholz ein Befreiungsschlag gelungen. Schon im Dezember war die Stimmung mies, viele Beobachter orakelten ein Scherbengericht. Doch nach einer respektablen Rede, gespickt mit vielen Themen, die das rote Herz höherschlagen ließen, wurde Scholz mit ausdauerndem Applaus bedacht. Sachsens Juso-Chefin Engel, die auf der Parteitagsbühne ihren Zweifel an Scholz "als Kanzler im Namen der Sozialdemokratie" geltend machte, wurde von einer Handvoll Delegierter ausgebuht. Doch über die grundlegenderen Differenzen zwischen dem Kanzler und seiner Partei konnte auch dieser seltsame Solidarisierungsmoment nicht hinwegtäuschen. 

SPD-Fraktion erhöht Druck auf Olaf Scholz

Die SPD-Fraktion will nun zu konkreter Politik formen, was die Basis im Dezember schon als inhaltliche Position der Partei beschlossen hat – damit der Kanzler in die Gänge kommt, und zwar im Sinne seiner Genossen. Auf ihrer Klausurtagung will die Fraktion über "Eckpunkte einer gerechten Haushaltspolitik" beraten, die eine Reform der geltenden Schuldenregeln vorsehen. Das Papier liegt dem stern vor. Darin wird die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form als "nicht mehr zeitgemäß" bezeichnet, als "Wohlstandsrisiko" für jetzige und kommende Generationen. 

Das erhöht den Druck auf Scholz, der eine Reform skeptisch sieht – sicherlich auch, weil dafür eine Grundgesetzänderung mit den Stimmen der Union nötig wäre. Die erforderliche Mehrheit hat der Kanzler nicht einmal in seiner eigenen Koalition, die FDP ist dagegen. Auch deshalb ist der Plan von Rolf Mützenich und seiner Fraktion (der Scholz ja auch angehört) von einer neuen Qualität. Oder würde sich der Kanzler offen gegen seine eigene Truppe stellen, auf deren Mehrheit er im Bundestag angewiesen ist? Tja.

Die Haushaltspolitik ist nur eines der Felder, auf denen sich die Sozialdemokraten einen Auftritt ihres Kanzlers wünschen, der nahbarer und nachvollziehbarer für die Menschen im Land ist. In dieser Woche spekuliert ein Boulevardblatt mit vier Buchstaben genüsslich über einen möglichen Kanzler-Austausch mit einem, der klare Worte nicht scheut: Verteidigungs- und Beliebtheitsminister Boris Pistorius. Das hat zwar niemand in der SPD ernsthaft vor, aber in einer Umfrage wurde ein entsprechender Wechsel mehrheitlich begrüßt. 

Die Bauernproteste, die laut stern-Umfrage bei einer großen Mehrheit der Bürger auf Verständnis stoßen, sind ebenfalls Ausdruck der anhaltender Unzufriedenheit. Hinter vorgehaltener Hand fragen sich einige Abgeordnete: Warum hat Kanzler nicht wenigstens das Gespräch mit Bauernpräsident Joachim Rukwied gesucht hat, wenn schon nicht mit der Fraktion? Es wäre eine vergleichsweise harmlose Frage an den Kanzler bei der "internen Beratung" in der Fraktion am Nachmittag. Neues Jahr, neues Glück? Sieht nicht danach aus.

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