Linz: Dem Gewalttäter durch Selbstverteidigung erfolgreich entkommen

15.11.2019 12:57

Der durch alle Medien geisternde Vergewaltigungsversuch in Linz-Urfahr schockierte nicht nur die Oberösterreicher. Überall fragen sich Frauen, wo und wann sie noch sicher sind. Scheinbar kann man in Österreich inzwischen zu jeder Tageszeit, an jedem Ort und bei jeder Beschäftigung Opfer eines Übergriffs werden. Warum die Frau in Linz-Urfahr alles richtig gemacht hat und worauf es bei erfolgreicher Selbstverteidigung ankommt, analysiert Krav Maga Linz Cheftrainer Ulrich Gruber anhand seiner 20-jährigen Erfahrung mit der Materie.

Wochenblick: Herr Gruber, sie unterrichten an sechs Tagen pro Woche fast rund um die Uhr Selbstverteidigung für Einzelpersonen, Gruppen, Firmen und in allgemein zugänglichen Abendkursen. Was ist Krav Maga und weshalb boomt die Nachfrage so sehr?

Ulrich Gruber: Krav Maga ist ein über Jahrzehnte vielfach im Einsatz Kampfkonzept der israelischen Sicherheitskräfte bei Militär und Polizei. Es ist einfach, effizient, direkt und baut auf Naturinstinkte und verstärkt diese. Elemente der Kampfkunst und Fairness lassen wir weg. Denn die Gegner auf der Straße sind auch nicht fair und wer einen Übergriff auf eine Frau verübt, hat die härteste mögliche Gegenwehr verdient. Natürlich im Rahmen der Gesetze, Gegengewalt muss in der jeweiligen Situation angemessen sein. Die Nachfrage steigt immer mehr, weil die Zeiten scheinbar immer rauer werden. Da kommt die reale Komponente zum Sport-Aspekt hinzu.

„Für mich war das ein Mordversuch“

WB: Kommen wir zu dem Fall in Linz-Urfahr, wo eine Frau aus dem Hinterhalt angegriffen wurde, durch heftige Gegenwehr aber nicht zu Schaden kam. Wie bewerten Sie ihr Verhalten?

Ulrich Gruber: Ich kann jetzt nur kommentieren, was wir aus den Medien wissen. Die Frau war alleine beim Joggen. Jemand hat sie aus einem Gebüsch heraus angesprungen. Diese Person wollte ihr einen Müllsack über den Kopf stülpen. Für mich war das ein Mordversuch. Dass alle Medien von Vergewaltigungsversuch schreiben halte ich für sehr kreative Erfindungen. Niemand weiß, was der feige Verbrecher wirklich vor hatte. Wenn jemandem ein Plastiksack übergestülpt wird und der Täter zieht zu, dann tritt binnen kürzester Zeit der Erstickungstod ein.

WB: Wie kam die Frau da heraus?

Ulrich Gruber: In unserer Schule unterrichten wir, dass die Hände zu heben sind, egal welche Situation eintrifft. Jemand, den ich nicht kenne, berührt meine Schulter, jemand rempelt mich an, jemand geht bedrohlich auf mich zu – immer hebe ich die Hände, um schnell reagieren zu können. Vermutlich hat sich die Dame weggeduckt und vielleicht auch die Hände ins Spiel gebracht. Jedenfalls gelang es dem Wahnsinnigen nicht, ihr den Sack überzuziehen. Damit hat sie den schlimmsten Teil abgewehrt.

„Tritte, Schläge, Schreie – vieles richtig gemacht“

WB: Danach war die Rede von Tritten?

Ulrich Gruber: Im Krav Maga verwenden wir zur Abwehr von Übergriffen gerne Tritte bis in etwa zur Höhe des Bauchnabels. Tritte zu den Kniegelenken, Tritte in die Genitalien, Stoptritte in die Bauchmitte. Alles darüber bringt den Verteidiger selbst unnötig in Gefahr. Gerade auf Rollsplit oder auch auf einer Wiese rutscht man schnell aus. Das ist hier ja auch passiert. Bevor die Dame aber stürzte, soll sie dem Angreifer im Brust und Bauchbereich harte Tritte verpasst haben. Das hielt ihn sicher auf Distanz und nötigte ihm schon Respekt ab. Man darf nicht vergessen, dass auch ein Verbrecher viel Stress bei seiner Tat hat. Wenn dieser Stress zu hoch wird, ist es möglich, ihn in die Flucht zu schlagen.

WB: Nach den Tritten kam die Frau zu Fall, verteidigte sich aber weiter…

Ulrich Gruber: Jetzt wurde geschrieben, dass sie am Boden lag und der Täter sie am Oberkörper und den Armen festhalten wollte. Doch sie ließ sich zu keiner Sekunde irritieren und schlug hart zu. Was mir auch gut gefallen hat war die Aussage, dass sie immer wieder laut schrie. Die Stimme einzusetzen kann einen Täter verunsichern und in Panik versetzen. Bekommt er zudem noch harte Prügel, ergreift er vielleicht lieber die Flucht. Hier kam der Täter wohl zur Einsicht, dass er entweder körperlich zu Schaden kommen wird oder früher oder später Zeugen aufmerksam werden und einschreiten. Das Risiko wurde ihm zu groß und er suchte das Weite.

Das Erlernte im Notfall umzusetzen ist schwierig

WB: Wie schwierig ist es im Notfall, erlernte Kampfechniken einzusetzen?

Ulrich Gruber: Es ist enorm schwierig. Gerade deshalb ist regelmäßiges Training notwendig. Außer man ist von Natur aus eine so genannte „Kampfsau“ der alles egal ist, ein Draufgängertyp. Das muss man im Notfall auch sein. Egal wie brutal und hinterhältig der Gegner ist, wenn man es schafft noch gemeiner und noch brutaler zu sein, kann man auch als körperlich unterlegene Person gewinnen. Es geht auf der Straße nicht um einen fairen Boxkampf zwischen zwei gleich starken Sportlern. Die Frau in unserem Beispiel hat alles gegeben was sie hatte. Dazu ist viel Mut und viel Herz nötig. Wie eine kleine Katze, die nicht hochgehoben werden will kann auch eine 50kg schwere Frau so lange treten, schlagen, beißen, kratzen, spucken, schreien und was ihr sonst noch einfällt, bis ein Angreifer von ihr ablässt.

Haben Frauen wirklich eine Chance?

WB: Bei unserem letzten Interview gab es im Forum auch Kritik. Selbst ernannte Kampfsportprofis meinten, eine Frau könne sich nicht verteidigen und das funktioniere in der Praxis sowieso alles nicht.

Ulrich Gruber: Wie man am Fall in Linz-Urfahr sieht, funktioniert das sehr wohl. Vieles hängt neben der körperlichen Fähigkeit aber von der geistigen Bereitschaft zur Gegenwehr ab. Natürlich gibt es Fälle, wo die Chancen sehr gering sind. Aber was ist besser? Stehenbleiben und sich ergeben oder auch nur ein Prozent Chance zu nutzen und alles zu geben, was man hat? Wie wird man sich später besser fühlen, wenn man resigniert oder gekämpft hat? Man sollte generell nicht zu sehr auf andere hören, denn im Notfall sind diese sicher nicht zur Stelle, um einem zu helfen. Auch die Frau in Linz-Urfahr musste auf sich alleine gestellt das Beste aus der Situation machen. Da helfen „gute Ratschläge“ in Internetforen nichts.

WB: Die härtere Militär-Version von Krav Maga kann man bei Ihnen auch lernen?

Ulrich Gruber: Ja. Beispielsweise beim Seminar am kommenden Samstag. Da ist ein erfahrener Polizei-Einsatztrainer aus Baden bei Wien bei uns zu Gast und unterrichtet drei Stunden lang das so genannte KAPAP. Das Seminar zahlt sich sowohl für den Anfänger als auch für Fortgeschrittene aus. Und am 23. November gibt es ein Spezialseminar nur für Frauen, das sich speziell an Einsteigerinnen richtet. Alle Infos gibt es bei uns auf der Homepage unter www.kravmaga-linz.at

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