Kommt jetzt Israels Angriff auf Rafah? Fünf Antworten auf die wichtigsten Fragen

13.02.2024 10:22

Israel will offenbar nun auch die Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens mit Bodentruppen angreifen. Dorthin haben sich über eine Millionen Menschen geflüchtet. Was wären die Folgen – und wohin sollten die Palästinenser fliehen?

Wie ist Lage in Rafah in Gaza? 

Israel plant, seine Militäroffensive im Kampf gegen die Hamas auf die Stadt Rafah auszuweiten. Die Stadt liegt ganz im Süden des Gazastreifens, an der Grenze zu Ägypten. Menschen aus dem gesamten Gebiet sind dorthin geflohen, bisher galt die Region als vergleichsweise sicher vor den Luft- und Bodenschlägen. Jetzt befinden sich hier 1,4 Millionen Menschen, das ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung Gazas.

Rafah gilt gleichzeitig als letzte Hochburg der Terrororganisation Hamas, die in der Enklave an der Macht ist. Noch immer hält sie 136 israelische Geiseln gefangen. Armeesprecher Arye Sharuz Shalicar sagt: "Die einzigen Hamas-Bataillone, die noch intakt sind, befinden sich größtenteils im Gebiet Rafah." Laut israelischem Militär seien es vier Hamas-Brigaden in Rafah, die bekämpft werden sollen. 

Wo sollen die Menschen hin?

Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu hat die Armee angewiesen, einen "kombinierten Plan zur Evakuierung der Bevölkerung und zur Zerstörung der Bataillone" der Hamas in Rafah vorzulegen. Laut der Regierung seien Gebiete nördlich von Rafah bereits geräumt worden und könnten für die Zivilbevölkerung genutzt werden. Armeesprecher Shalicar erklärte, das Gebiet um al-Mawasi sei weiterhin eine Sicherheitszone, in der man nicht angreife. 

In dem Küstenstreifen in der Mitte von Gaza gibt es allerdings keine Infrastruktur, eine Versorgung durch Hilfsorganisationen ist dort kaum möglich. Premier Netanyahu sagte dem US-Fernsehsender "ABC News", man werde der Zivilbevölkerung einen sicheren Weg aus der Stadt ermöglichen. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock zeigte sich wie viele internationale Politiker besorgt über die geplante Offensive: Millionen Menschen hätten auf engstem Raum Schutz vor den Kämpfen gesucht und könnten sich "nicht in Luft auflösen". Laut den Angaben des Hamas-kontrollierten Gesundheitsministeriums in Gaza wurden im Krieg mehr als 25.000 Palästinenser getötet. Die Angabe lässt sich nicht unabhängig prüfen. Die Zählung unterscheidet nicht zwischen Zivilisten und Hamas-Angehörigen.

Warum nimmt Ägypten keine Zivilisten aus Gaza auf?

Der Grenzübergang Rafah wird von der Hamas und ägyptischen Beamten kontrolliert, nicht von Israel. Der Übergang ist trotz der Kämpfe bisher geschlossen. Nur ein paar hundert ausgewählte ausländische Staatsangehörige und verwundete Palästinenser durften seit Kriegsbeginn Gaza über die Rafah-Grenze verlassen. Denn Ägypten fürchtet eine Massenauswanderung, die das Land vor riesige Herausforderungen stellen würde – wie sollen die Geflüchteten versorgt, wo untergebracht werden? Vor allem befürchtet die Regierung in Kairo, dass viele Palästinenser langfristig im Land bleiben wollen – oder dass Israel eine Rückkehr verhindert. 

In Ägypten leben schon viele Flüchtlinge aus dem Sudan, zudem ist das Land wirtschaftlich angeschlagen. Außerdem besteht die Sorge, dass aus Gaza Terroristen nach Ägypten kommen. Die ägyptischen Behörden haben seit langem ein Problem mit Dschihadisten im Norden der Sinai-Halbinsel. Schon jetzt fällt es ihnen schwer, das Gebiet zu kontrollieren, auch weil die Anzahl ägyptischer Soldaten durch den Friedensvertrag mit Israel in der Region begrenzt ist.

Sollten hunderttausende Menschen aus dem Gazastreifen auf unbestimmte Zeit nach Ägypten kommen, würde das Land eine maßgebliche Rolle bei einer möglichen dauerhaften Umsiedlung der Palästinenser spielen. Ein Präzedenzfall würde geschaffen in der Frage, die seit Jahrzehnten für Konflikte sorgt, und in die man in Ägypten bisher nicht involviert werden will. Israels andere Nachbarländer Jordanien und Libanon haben während vergangener Kriege hunderttausende palästinensischer Flüchtlinge aufgenommen – die dürfen nun nicht mehr in ihre Herkunftsorte zurückkehren. Eine vorübergehende humanitäre Maßnahme für Palästinenser könnte für Ägypten also schnell zu eienr dauerhaften werden. Das Land hat Israel davor gewarnt, dass ein Angriff auf Rafah das Friedensabkommen von Camp David zwischen den beiden Ländern gefährden würde.

Welche Folgen hätte ein Angriff auf Rafah für die Bevölkerung?

Politiker wie Annalena Baerbock warnen vor einer humanitären Katastrophe. Schon jetzt sind viele Zivilisten ohne feste Unterkunft, ihnen fehlt sauberes Wasser, Treibstoff und Essen. "Wir glauben, dass eine Militäroperation zum jetzigen Zeitpunkt eine Katastrophe für diese Menschen wäre", sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats der USA, John Kirby. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell schrieb auf X: "Eine israelische Offensive auf Rafah würde eine unbeschreibliche humanitäre Katastrophe bedeuten." Außerdem würde es "zu starken Spannungen mit Ägypten kommen".

Was würde ein Angriff auf Rafah für die israelischen Geiseln bedeuten?

Die Hamas droht, dass sie nicht weiter über die Freilassung von Geiseln verhandele, sollte die israelische Armee Rafah angreifen. "Jede israelische Bodenoffensive in Rafah an der Grenze zum Gazastreifen wird die Verhandlungen über den Austausch von Geiseln zunichtemachen", zitierte der Hamas-Fernsehsender "Aqsa Television" einen hochrangigen Hamas-Führer. Erst vor wenigen Tagen hat Premierminister Benjamin Netanyahu selbst einen Deal abgelehnt, bei dem die Hamas hohe Gegenleistungen für die Freilassung der Geiseln forderte. Die Männer, Frauen und Kinder sind seit dem 7. Oktober in der Gewalt ihrer Entführer und laut Berichten willkürlicher Gewalt ausgesetzt. Armeesprecher Arye Sharuz Shalicar sagte dem stern: "Solange die Hamas nicht einlenkt, wird das israelische Militär den Kampf jeden Tag fortsetzen."

Israels Militär ist es nun gemeinsam mit dem Inlandsgeheimdienst Schin Bet und der Polizei gelungen, zwei Geiseln in Rafah aus der Gefangenschaft zu retten. Der 60-jährige Fernando Simon Marman und der 70-jährige Norberto Louis Har waren am 7. Oktober aus dem Kibbutz Nir Yitzhak entführt worden.

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