Kein zweites Sonneberg! Und die AfD kann doch noch verlieren

30.01.2024 10:40

Sie waren mit Spannung und Furcht erwartet worden: Aber bei den Landratswahlen im Saale-Orla-Kreis schlägt der CDU-Kandidat überraschend den AfD-Konkurrenten. Man kann daraus eine Lehre ziehen.

Faustdicke Überraschung in Thüringen: Obwohl es am Sonntag lange so aussah, als würde AfD-Kandidat Uwe Thrum, 49, neuer Landrat im Saale-Orla-Kreis, schlug ihn der 39-jährige CDU-Mann Christian Herrgott in der Stichwahl aus dem Feld. Mit 52,4 Prozent heißt der gewählte Chef im Kreis künftig wie der Vater im Himmel. Eine Schlappe für die Partei, die sich mit Allmachtsfantasien trägt.

Die gegenwärtigen Probleme sind deshalb beileibe nicht gleich verschwunden. Aber das Ergebnis ist trotzdem ein entlastendes Signal für Demokraten. Ausgerechnet im Bundesland des faschistischen AfD-Landeschefs Björn Höcke, der bei der Landtagswahl im September am liebsten erster AfD-Ministerpräsident werden möchte, schafft es die Rechte nicht, das zweite wichtige Kreismandat zu erobern. Vor einem halben Jahr war es ihr im benachbarten Thüringer Landkreis Sonneberg noch gelungen, den Höcke-Jünger Robert Sesselmann als Landrat durchzusetzen. Der hat gerade einmal wieder bewiesen, was er von Demokratie hält. Er hatte versucht, 35.000 Euro Fördergeld für das Programm "Demokratie leben!" zu streichen, mit dem etwa Jugendfahrten zur KZ-Gedenkstätte Buchenwald mitfinanziert werden. Nach massivem Widerstand musste er einen Rückzieher machen.

Noch ist empirisch nicht abschließend geklärt, warum im Saale-Orla-Kreis Thrum, der lange wie der sichere Sieger aussah, am Ende doch gegen Herrgott verlor. Vieles spricht aber dafür, dass manche der rund 66.000 Wahlberechtigten angesichts der bundesweiten Massenproteste gegen die AfD noch einmal ins Grübeln geraten sind: Sollten wir unsere Zukunft in der Heimat wirklich auf die verschrobenen Überzeugungen von Rechtsradikalen bauen? So sieht es unter anderem der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz. Auch könnten mehr Menschen zur Wahl gegangen sein, weil sie durch die Protestzüge dazu mobilisiert wurden. Ist es so, hilft Protestieren in Demokratien also doppelt.

An dem Wochenende, als die Entscheidung für Herrgott fiel, waren wieder über 800.000 Menschen auf deutschen Straßen unterwegs. Auch in Thüringen begehrten Tausende gegen rechts auf, von Eisenach bis Gera. Familien, Vereine, Kirchen, Schulklassen und viele andere Gruppen zeigten offen ihre Gesichter, um für eine nicht immer einfache, aber wunderbare Welt aus Freiheit und Vielfalt einzutreten. Sie wollen dem düsteren, menschenfeindlichen Missmut der Rechten widersprechen, die schon wieder über Deportationen nachdenkt. Die friedlich-bunten Demos liefern überzeugende Bilder von einer funktionierenden Volksherrschaft, wie sie schon Winston Churchill vorschwebte. Er sagte: "Wenn es morgens um sechs Uhr an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe." 

Leider liefern die Proteste und die Landratswahl noch keinen Hinweis, dass die AfD in Thüringen oder woanders nun nachhaltig an Kraft verliert. Die Mehrheit für Herrgott – es waren gerade einmal 2170 Stimmen – fiel äußerst knapp aus, zumal SPD und Linke die Einwohner des Kreises explizit dazu aufgerufen hatten, in der Stichwahl für die CDU zu stimmen. Wenn die Prozentpunkte für die AfD in Umfragen dennoch schmelzen, dann weil einige ihrer Wähler zu anderen populistischen Parteien überlaufen, die es ohne braune Demagogie versuchen. Etwa zum neuen Bündnis Sahra Wagenknechts, dem BSW. 

Jetzt ist die Ampel gefragt

"Demokratie ist Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk", so definierte sie der ehemalige amerikanische Präsident Abraham Lincoln. Um das Prinzip sich und anderen klarzumachen, ist es wichtig und richtig, die Demonstrationen für Freiheit und Vielfalt nicht abebben zu lassen. Am besten sollten sie sich durch das gesamte Wahljahr ziehen. 

Es ist aber auch wichtig, dass die Ampelkoalition endlich eine Politik einläutet, die beweist, dass sich der Kampf für die demokratischen Werte lohnt. Wir brauchen die Solidarität der Massen genauso wie die überzeugende Kraft der Repräsentanten unserer Demokratie, damit die Deutschen als Gesellschaft zu einer Geisteshaltung zurückfinden, bei der rechts- wie linksradikale Parteien nicht mehr als Randerscheinungen sein können.

 

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