IS-Terror bei uns bleibt große Gefahr

20.12.2019 12:36

Wie gefährdet sind wir derzeit in Europa? Wie sieht die Bedrohungslage in Österreich aus? Wäre auch bei uns ein Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt wie in Berlin 2016 möglich? Und warum geraten - wie im jüngsten Fall - immer wieder IS-Verdächtige aus Tschetschenien ins heimische Fahndungsnetz? Terrorexperte Dr. Nicolas Stockhammer vom Institut für Rechtsphilosophie an der Universität Wien liefert im Interview mit „Krone“-Reporter Gregor Brandl eine aktuelle Analyse.

„Krone“: Warum geraten bei uns immer wieder Tschetschenen unter IS-Verdacht?
Nicolas Stockhammer: Innerhalb der tschetschenischen Gemeinde in Österreich gibt es einen gewaltbereiten Kern. Viele dieser Personen kommen über die Kleinkriminalität zum Dschihadismus. Einige haben zudem Kampferfahrung in Syrien und im Irak gesammelt. Ein Großteil der 320 Österreicher, die für den IS gekämpft haben, sind tschetschenischen Ursprungs.

Wie gefährlich waren die konkreten Pläne des verhafteten Duos und des mutmaßlichen Komplizen?
Es ist davon auszugehen, dass es sich um Sprengstoffattacken gehandelt hätte. Zielorte wie Weihnachtsmärkte und Fußgängerzonen sind prädestiniert für große Opferzahlen und eine hohe Aufmerksamkeit für die Taten.

Wie gefährdet ist Österreich generell?
Die Gefährdungslage ist gesamteuropäisch zu betrachten. Aufgrund der Durchlässigkeit des Schengenraums und des anhaltenden Rückflusses an Kriegsheimkehrern ist hierzulande die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus nach wie vor relativ hoch. Gefahr geht auch von selbst radikalisierten Einzeltätern und Trittbrettfahrern aus, die Gelegenheitsattentate verüben könnten. Indikator sind auch die hiesigen Verhaftungen nach dem Terrorismusparagraf. 2017 waren es 48 Personen, 2018 zwar nur noch 35 Personen, aber für 2019 könnte der Trend wieder ansteigen. Wir sind aufgrund unserer zentralen Lage ein sekundäres Terrorziel und insbesondere Wien als Sitz verschiedener internationaler Organisationen ist durchaus „attraktiv“ für Terroristen.

Was hat sich seit dem Tod von IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi verändert?
In unseren Breitengraden nicht allzu viel. Der Terrorarm des IS ist ja seit 2015 in Europa sehr aktiv. Die dschihadistische „Diaspora“ hat früh eingesetzt und gewaltbereite Personen haben unsere Gesellschaften „infiltriert“. Der IS hat sich von der Idee der charismatischen Anführerfigur übergangsweise entkoppelt. Der Dschihadismus lebt vom Narrativ der vermeintlichen Benachteiligung von Muslimen in westlichen Gesellschaften.

Warum ist die Bedrohungslage speziell zur Weihnachtszeit angespannt?
Es geht um die symbolische Dimension. Die Dschihadisten wollen unsere Lebensweise attackieren und uns dann treffen, wenn wir feiern.

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