Ihr wart zu lange leise! : Hier sprechen die Menschen, die vom Hass der Rechten betroffen sind

18.01.2024 10:32

Deutschland hat ein Rassismusproblem. Das hat ein Treffen von rechtsextremen Aktivisten, AfD- und CDU-Politikern einmal mehr eindrücklich belegt. Doch was sagen Menschen dazu, die vom Hass betroffen sind? Der stern hat elf von ihnen gefragt.

Die Recherchen des Medienhauses "Correctiv" haben das Land aufgerüttelt. Bei einem konspirativen Treffen radikaler Rechtsextremisten, darunter auch AfD- und CDU-Politiker, wurden offen Deportationsfantasien ausgetauscht. Unter dem rechten Kampfbegriff "Remigration" wurde die Massenverdrängung all jener durchgespielt, die nach der faschistischen Ideologie der Teilnehmenden nicht zu einem "deutschen Volk" gehören – ob sie einen deutschen Pass besitzen oder nicht.

Viele Menschen in Deutschland waren von den Enthüllungen allerdings alles andere als überrascht – nämliche jene, die selbst eine Migrationsgeschichte haben. Sie sind lange vertraut mit dem Hass, der ihnen im Alltag entgegenschlägt, fühlen sich ohnmächtig, sind zornig. Wir haben elf bekannte Persönlichkeiten aus der Öffentlichkeit gefragt: Was haben die Enthüllungen über die AfD und die neue Rechte mit Ihnen gemacht und was wünschen sie sich von Ihren Mitmenschen? Das sind ihre Antworten:

Aminata Touré, Sozialministerin Schleswig-Holstein

"Ich hoffe, dass das die Menschen wachrüttelt. Die Gefahr, die Rechte auf unsere Demokratie ausüben, ist real und längst kein Randphänomen. Sie drängt in die Mitte der Gesellschaft, und sie ist bereits in unseren Parlamenten. Es ist allerhöchste Zeit, dass alle Demokrat*innen laut und entschieden dagegenhalten und sich aktiv gegen Rassismus, Rechtsextremismus und jegliche Form von Diskriminierung stellen. Dazu muss auch gehören, dass Politiker*innen diese drohende Gefahr nicht weiter durch rechte Narrative bestärken. Denn niemand kann mehr sagen, ich habe das nicht gewusst."

Steffi Kim, Music Executive & ARD Podcasterin

"Die Pläne, die AFD und CDU Teilnehmende besprochen haben, sind nicht neu – finden jedoch nun laut in regierungsnahen Kreisen statt, und Verfechter solcher Ideen sitzen im Bundestag. Die Vorstellung, dass Faschisten ein größeres Mitsprache-Recht haben, z.B. bei der Polizei-Arbeit oder in der Kindererziehung (Hort, Schule) etc., dürfte nicht nur mir Angst machen.

Ich wünsche mir mehrdimensionale positive Beispiele und Geschichten über Menschen, die das Miteinander fördern. Die extrem breite Berichterstattung der Spalter war gewiss auch eine Lobbyarbeit für die Faschisten. 

Es braucht die gesellschaftlichen Lautsprecher

Es braucht nun die medialen und gesellschaftlichen Lautsprecher, die die Vorteile des gemeinsamen Miteinanders abbilden, um die Demokratie im Alltag greifbar zu machen. Dazu braucht es allerdings diverse Teams, die diese Stories klischeefrei erzählen. Daher ist Teilhabe von Fachkräften mit multikultureller Erfahrung in Schlüsselpositionen in diesen Zeiten wichtiger denn je.

Der schöne Nebeneffekt: Es ist ein positiver Treiber der Wirtschaft, von dem wir alle gemeinsam profitieren. Ich verstehe den steten Widerstand nicht, bei der logischen Formel ‚Mehr Teilhabe = mehr Miteinander‘. Deutschland wird den faschistischen Beigeschmack einfach nicht los."

Aurel Mertz, Moderator und Comedian 

"Wir sind offensichtlich im Endgame angekommen. Es ist nicht mehr zu leugnen, dass diese Partei eine Neonazi-Partei ist. Deutschland wird jetzt sein wahres Gesicht zeigen, ob es entweder aus der Vergangenheit gelernt hat oder eben nicht. Es wäre ein tragisches Fazit der deutschen Kultur, wenn wir uns erneut für den Weg des Hasses entscheiden."

Düzen Tekkal, Aktivistin

"Ich frage mich: Sind Menschen mit Migrationsgeschichte noch sicher in diesem Land? Auch Menschen wie ich, die ein bisschen anders aussehen und dennoch den deutschen Pass haben. Gehören wir noch dazu? Das Unsicherheitsgefühl ist wieder da, und es ist so stark wie nie. Ich sitze nicht auf einem gepackten Koffer. Ich lasse mir meinen German Dream nicht nehmen!"

Tahsim, Video-Creator

"Ich bin erst seit wenigen Jahren deutscher Staatsbürger. Der deutsche Pass war in bürokratischer Hinsicht schon immer das Nonplusultra für uns, er wurde glorifiziert und romantisiert. Ich wurde jahrelang darauf trainiert, zu denken, dass ich erst mit der deutschen Staatsbürgerschaft vollständig bin. Als ich ihn dann hatte, habe ich mich nahezu unantastbar gefühlt. 

In diesem Land werde ich nie unantastbar sein

Die "Correctiv"-Enthüllungen haben mir aber signalisiert, dass ich in diesem Land nie unantastbar sein werde. Egal wie viel Aufklärungsarbeit stattfindet, am äußeren Rand wird es immer Stimmen geben, die zu Beginn nicht ernstgenommen werden, aber uns dann schneller überrennen als gedacht. Ganz 2023 sprechen wir über Rechtsruck und gesellschaftliche Umschwünge. Hier und da konnte man dem Thema noch gut aus dem Weg gehen, doch mit dem Geheimtreffen haben wir das optimale Staffelfinale erreicht, bei dem niemand mehr weggucken kann. 

Es ist somit unabdingbar, dass sich jeder und jede damit vertraut macht, welche Gefahren sich aktuell breit machen, und es wurde nochmals bewiesen, wie wichtig der Fortbestand von historischer Erinnerungskultur ist – insbesondere in Schulen."

Enissa Amani, Comedian 

"Ich bekomme seit der Bekanntmachung täglich mehrere Hundert Nachrichten von Menschen, die mir schreiben 'ich habe Angst'. Darunter sind im gleichen Maße Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Die nicht mehr nur einfach besorgt sind um das Land, sondern Angst haben. Brutale Angst. Mit mir selbst macht das natürlich auch was, stellen Sie sich vor, Sie wachen auf, und es sind wieder hunderte Nachrichten, die sagen 'Enissa ich habe Angst, was passiert hier und was sollen wir tun?' und ich selbst habe keine Antwort mehr auf diese Frage.

Ich bin traurig, dass die Wähler die Gefahr dieser rein populistischen Partei nicht sehen, deren Taktik sich nun leider auch einige Politiker der anderen Parteien teilweise angeeignet haben. Ich bin traurig, dass so viele Menschen den Wert von Demokratie und den Wert von Pluralität nicht erkennen.

Wenn die rechtspopulistische Parteien diesen Kampf gewinnen, werden in diesem Land nicht nur die Menschen mit Migrationshintergrund, sondern das ganze Land leiden. Diese Partei wurde als Partei der Reichen gegründet und hat dann den Schwenk gemacht, Migration zum Feind zu ernennen. Ich bin traurig. Ich verstehe, wie verzweifelt die Menschen sind in ihren Sorgen, aber ich verstehe nicht, dass sie dann populistischen Aussagen so auf den Leim gehen. Ich dachte, wir wären als Gesellschaft und als Menschheit weiter als das."

Gianni Jovanovic, Moderator und Aktivist

"Ich war nicht überrascht, aber ängstlich. Ich dachte sofort an meine Familie. Als Rom*nja haben wir in Deutschland eine lange Verfolgungsgeschichte. Dieses Land wollte uns nie hier haben und hält bis heute Strukturen aufrecht, in denen Sinti*zze und Rom*nja diskriminiert werden. Deportation und Genozid gehören zur schmerzhaften Realität, die unsere Volksgruppe in Europa und weltweit erlebt hat. Wir machen uns Sorgen. Wir bangen wieder um unser Leben, unsere Heimat und unseren Besitz. Das sind keine hypochondrischen Gedanken, sondern Realität für viele Menschen in Deutschland.

Die aktuellen Nachrichten machen mich sehr traurig und nachdenklich. Deportationsfantasien sind ein grausames Relikt deutscher Geschichte, aus einer Zeit, die von Okkultismus und Rassenwahn beherrscht war. 'Wehret den Anfängen' ist nicht mehr – wir sind mittendrin.

Wehret den Anfängen ist nicht mehr – wir sind mittendrin

Wir dürfen die Augen jetzt nicht verschließen, wir müssen handeln und aktiv Widerstand gegen den Rechtsruck leisten. Ein Verbot der AfD wäre auch eine klare Positionierung dieser Gesellschaft: Wir wollen Frieden in Deutschland und keine Menschen an der Macht, die von Hass und Rassismus geprägt sind. Wir müssen Gesetze schaffen und durchsetzen, die marginalisierte Gruppen schützen. Ich wünsche mir mehr Solidarität – eine starke, wehrhafte Demokratie und Menschen, die auf die Straßen gehen und bei jeder Gelegenheit ein starkes Zeichen für Frieden und die Freiheit aller setzen. Wir brauchen Räume, in denen wir diskutieren können, um einen friedlichen Konsens zu finden. Wir alle haben eine Verantwortung, und jetzt muss endlich Schluss sein, mit dem kollektivem Schweigen. Ihr wart schon zu lange leise." 

Hatice Schmidt, YouTuberin

"Ich nehme zunehmend wahr, dass in unserer Gesellschaft eine exzessive Ausgrenzungsbereitschaft Einzug hält. Und zwar von allen Seiten. Alle zeigen mit dem Finger auf sich. Männer sind schuld, Klimakleber sind schuld. Nun, in diesem Fall, die gesamte Gruppe ausländischer Menschen in Deutschland. Mir schnürt sich bei diesen Themen die Brust zu. Manchmal denke ich mir: Ich will nur noch weg. Es brodelt immer mehr und mehr. Ich würde mir von meinen Mitmenschen wünschen, dass wir gemeinsam im Ton und im Umgang miteinander abrüsten, die Feindbilder abbauen."

Fikri Anıl Altıntaş, Autor 

"Die Enthüllungen sind keine Überraschung, sie sind lediglich Kontinuität gesellschaftlicher Verhältnisse und einer Politik, die rechte und rassistische Strukturen begünstigt und stärkt. Wir beobachten diese Tendenzen nicht nur durch und in der AfD, sondern auch in Polizei, Bundeswehr und staatlichen Behörden. Das geheime Treffen macht mich nicht nur nachdenklich, es besorgt mich, es macht wütend. Aber es lässt mich dennoch weiter an Solidarität glauben. Denn sie das Einzige, was uns noch zusammenhalten kann."

Hami Nguyen, Aktivistin und Autorin

"Die "Correctiv"-Recherche bestätigt, dass die Existenzangst, die Menschen wie ich hier stetig haben, sehr realistisch ist. Empörung reicht nicht – es ist allerhöchste Zeit, dass jede einzelne Person in ihrem Wirkungskreis aktiv etwas tut. Wählen gehen, zivilgesellschaftliches Engagement und Gegenrede, um nur einige der Möglichkeiten zu nennen."

Patrick Mushatsi-Kareba, CEO Sony Music Entertainment GSA

"Die Ereignisse haben mich in gleichem Maß verärgert und verängstigt, aber sie haben mich auch entschlossener gemacht. Eine Entschlossenheit, die kein Heldentum, keine Ideologie sein soll. Ich wünsche mir, dass sich Menschen daraufhin vereinen, sei es im Beruflichen oder im Privaten. Sich vereinen – über alle etwaigen Differenzen hinweg – sodass wir zu dem Konsens kommen, dass wir uns als Land, Zivilgesellschaft und Wirtschaft mit allem was wir haben, individuell und kollektiv gegen rechte Gewalt und rechtsradikale Ideologie stemmen. Egal welcher demokratischen politischen Couleur man zugehört, egal ob man unpolitisch ist, egal ob man seit vielen Generationen deutsche Vorfahren hat oder wie ich Nachfahre von Menschen ist, die vor einigen Jahrzehnten aus Italien und Burundi nach Deutschland eingewandert sind. Fangen wir damit an und machen weiter, indem wir Zersetzendes stoppen und an dem echten Fundament für unser Land arbeiten."

 

 

Quelle