Doch noch Freunde werden? Was die Auftritte von Lindner und Habeck bedeuten

06.02.2024 12:12

Sowohl Finanzminister Christian Lindner als auch Wirtschaftsminister Robert Habeck wollen die Steuern für Unternehmen senken. Nur heißt das nicht, dass es auch so kommt. Denn es gibt da ein Problem.

Man mag sich verwundert die Augen reiben: Ist es wirklich wahr? Ausgerechnet Finanzminister Christian Lindner von der FDP und Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen sollen sich einig sein: "Ich bin da bei Christian Lindner", sagte Habeck der "Welt am Sonntag". 

Was war passiert? "Lindner und Habeck wollen Unternehmen entlasten", lautete eine der Schlagzeilen. Die beiden Minister mit den oft so gegensätzlichen Auffassungen sehen es so: Unternehmen in Deutschland sind, gerade im internationalen Vergleich, steuerlich zu stark belastet. Da müsse man ran. Tue man nichts, werde Deutschland ärmer, weil das Wachstum ausbleibe. 

Kommt jetzt also eine große Unternehmenssteuerreform? Nicht so schnell: Nur weil zwei die Diagnose eines Problems teilen, heißt das in dieser Ampelkoalition nicht, dass es rasch zu einer Lösung kommt. Bei der Frage, wie genau steuerliche Entlastungen für Betriebe finanziert werden könnten, ist die Einigkeit zwischen Habeck und Lindner schnell dahin.  

Sondervermögen: Habeck und ein No-Go-Vorschlag

Man braucht sich nur anzuschauen, wie es zu der jetzigen Debatte kam – und in welchem Stil sie ausgetragen wird.  

Auftritt 1: Es begann am vergangenen Donnerstag. Im Bundestag wurde der Haushalt des Wirtschaftsministeriums diskutiert. Habeck beendete seine Rede so: "Was wäre, wenn wir ein Sondervermögen einführen würden, um die strukturellen Probleme zu lösen?" Dieses solle dafür genutzt werden, für Unternehmen Steuervergünstigungen und steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten zu schaffen. Ein erstaunlicher Vorstoß, den Habeck mit den Koalitionspartnern offenbar nicht zuvor abgesprochen hatte: Für die Liberalen ist ein solches Sondervermögen ein absolutes No-Go.

Auftritt 2: Finanzminister Lindner wies den Vorschlag prompt zurück. Habecks Idee sei "in jeder Hinsicht überraschend" gewesen, sagte er der "Welt am Sonntag". "Der Wirtschaftsminister sagt damit ja, dass er mit der bestehenden Wirtschaftspolitik der Bundesregierung unzufrieden ist und er etwas komplett anderes für nötig hält." Von Habecks Vorschlag, Subventionen mit Schulden zu bezahlen, ist Lindner nicht überzeugt. "So würden wir die Soziale Marktwirtschaft deformieren." Allerdings machte Lindner auch einen Schritt auf Habeck zu: Auch er halte eine "Wirtschaftswende" für nötig. Lindner schlug ein "Dynamisierungspaket" vor, das die Bereiche Arbeitsmarkt, Klimaschutz, Energiepreise, Bürokratie und Steuern umfasse. Er signalisierte Habeck also: Gespräche ja, aber nicht über neue Schulden. 

Auftritt 3: In derselben Zeitung zeigte sich Habeck versöhnlicher: "Ich bin da bei Christian Lindner: Wir müssen mehr tun für Wachstum und wirtschaftliche Dynamik." Er wolle deshalb zusammen mit Lindner an einem Dynamisierungspaket arbeiten. Wie das genau aussehen soll? Offen. 

Auftritt 4: Am Sonntagabend war der Finanzminister im "Bericht aus Berlin" in der ARD zu Gast. Lindner setzte eine Spitze gegen Habeck: "Wegen mir hätte es diese Rede im Bundestag nicht geben müssen. Das hätten wir auch anders miteinander besprechen können." Nun, da die Debatte da sei, mache man aber etwas Konstruktives draus. Er sprach erneut von seinem Dynamisierungspaket – und nutzte die Gunst der Stunde, um eine alte liberale Forderung einzubringen: die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Das sei der "schnellste und einfachste Weg", sagte er. "Allerdings müssten wir über die Gegenfinanzierung sprechen."

Auftritt 5: Nur wenige Stunden später ist Habeck am Sonntag in der ARD-Talkshow von Caren Miosga zu sehen. Und wird dort auf den Lindner-Vorstoß angesprochen. Der Wirtschaftsminister allerdings zeigte sich skeptisch. Eine Abschaffung des Solis würde "das Problem erstmal größer machen", sagte Habeck. Schon jetzt gibt es im Bundeshaushalt für 2025 nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem November eine milliardenschwere Finanzierungslücke. Das Finanzministerium geht laut einer Sprecherin aktuell von einem "Handlungsbedarf im unteren zweistelligen Milliardenbereich aus". Fallen nun zusätzlich die Einnahmen aus dem Solidaritätszuschlag weg, würde das die Situation noch verschärfen.  

Union blockiert Wachstumschancengesetz

Was bedeutet das alles? Vor allem eines: Habeck und Lindner sehen zwar beide das Problem der unternehmerischen Wettbewerbsfähigkeit, doch für eine mögliche Lösung scheint es kaum Raum zu geben. Die steuerlichen Entlastungen für die Unternehmen über Schulden außerhalb des eigentlichen Haushalts zu finanzieren – wie Habeck es mit dem Sondervermögen vorschlägt – ist nicht nur für die FDP ausgeschlossen. Auch die Union, auf die die Ampel dafür angewiesen wäre, dürfte kaum zustimmen.  

Der Vorschlag des Finanzministers, den Solidaritätszuschlag für Unternehmen abzuschaffen, erscheint allerdings ebenso wenig realistisch. Zwar wäre die Ampel dafür nicht auf die Union angewiesen. Diese blockiert im Moment das Wachstumschancengesetz im Bundesrat, mit welchem die Regierung eigentlich ebenfalls die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands erhöhen will. Doch die Krux liegt in der Gegenfinanzierung: Lindner dürfte die Abschaffung des Solidaritätszuschlags wohl über noch weitreichendere Einsparungen im Haushalt finanzieren wollen. Das dürfte mit Grünen und SPD kaum zu machen sein. 

Habeck: "Ich weiß nicht, ob dabei was rauskommt"

Es ist also eine vertrackte Lage. In der sich – mal wieder – der Grundkonflikt zwischen den Grünen und den Liberalen zeigt. Schließlich geht es hier auch um Grundsätzliches. Der Grüne Habeck glaubt an einen starken, lenkenden Staat. Er verweist immer wieder auf die USA, wo Präsident Joe Biden mit dem Hunderte Milliarden Dollar schweren "Inflation Reduction Act" die Industrie transformieren will.  

Christian Lindner sieht das als Liberaler naturgemäß anders: Die Unternehmen bräuchten mehr Freiheit und weniger Vorgaben durch den Staat – dann würden sie sich zukunftssicher aufstellen. "Wir wollen ja, dass die Unternehmen den Staat finanzieren, und nicht der Staat die Unternehmen."

Habeck will seinen Vorstoß nun vor allem als eine Möglichkeit zur Diskussion verstanden wissen. "Ich weiß nicht, ob dabei was rauskommt", sagte er in der Talkrunde bei "Miosga". Das wäre wohl das schlechteste Ergebnis dieser Lindner-Habeck-Show: Wenn es am Ende nach viel Reden kein Ergebnis gibt. Unwahrscheinlich ist das aber nicht.  

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