Corona-Mutante B.1.617 aus Indien – was wir wissen und was noch nicht

23.04.2021 12:12

Fast 315.000 Neuinfektionen an einem Tag: In Indien explodieren die Fallzahlen mit dem Coronavirus. Sorgt dafür womöglich eine besonders ansteckende Doppel-Mutante? Was über die Variante B.1.617 bekannt ist – und was noch nicht. 

Indien ächzt unter einer schweren Corona-Welle. Seit Mitte März kennt die Kurve der täglich gemeldeten Fallzahlen nur eine Richtung: steil nach oben. Knapp 315.000 Neuinfektionen und mehr als 2000 Tote meldeten die Gesundheitsbehörden binnen eines Tages. 

Längst hat die Welle die Kliniken des 1,3-Milliarden-Einwohner-Landes erreicht: Medizinischer Sauerstoff, Medikamente und auch Krankenhausbetten werden knapp. Die starke Zunahme der Fallzahlen bereitet auch den Betreibern von Krematorien Probleme. Sie haben Mühe, die hohe Anzahl an Leichnamen zu bewältigen.

Die zweite Welle sei "wie ein Sturm" gekommen, erklärte Indiens Regierungschef Narendr

Welche Mutationen weist B.1.617 auf?

Die Variante besitzt zwei Mutationen (Aminosäureaustausche) am sogenannten Spike-Protein. Mit diesem Protein dockt das Virus im Infektionsfall an menschliche Zellen an und schleust sich ein. 

  • Die Mutation L452R ist bereits bei einer anderen Virus-Mutante aufgetreten, der kalifornischen Variante B.1.429.
  • Die Mutation E484Q ähnelt der E484K-Mutation, die in mindestens drei weiteren Corona-Varianten gefunden wurde: B.1.1.7 E484K (eine Sonderform der britischen Variante), B.1.351 (Südafrika-Variante) und P.1 (brasilianische Variante).

Die Mutationen am Oberflächenprotein würden "mit einer reduzierten Neutralisierbarkeit durch Antikörper oder T-Zellen in Verbindung gebracht, deren Umfang nicht eindeutig ist", teilte das RKI diese Woche auf Anfrage der Nachrichtenagentur DPA mit. Das bedeutet: Möglicherweise könnten Geimpfte oder Genesene weniger gut vor einer Ansteckung mit dieser Variante geschützt sein. Zudem gebe es laut RKI "Hinweise", dass die Mutationen die Übertragbarkeit der Variante erhöhen. Belegt ist das letztlich aber noch nicht.

Was bedeutet der Begriff Doppel-Mutante?

Der Begriff klingt zunächst bedrohlich, besagt aber nichts anderes als dass die zwei oben genannten Mutationen im Spike-Protein bei der indischen Variante gemeinsam auftreten. "Es ist nicht so, dass man eine Kreuzung von zwei verschiedenen Mutanten hat, wie das in einigen Medienquellen gestanden hat", erklärte der Berliner Virologe Christian Drosten bereits Ende März in dem NDR-Podcast "Coronavirus-Update". "Sondern hier sind zwei Mutationsmerkmale gemeinsam aufgetreten."

Sorgt B.1.617 für den aktuellen Anstieg der Fallzahlen in Indien?

B.1.617 wurde zuerst im indischen Bundesstaat Maharashtra nachgewiesen, in dem auch die Metropole Mumbai liegt. Nach Angaben des RKI verbreite sich die Variante dort stark und kursiere auch in anderen indischen Bundesstaaten. 

Derzeit sei allerdings unklar, ob B.1.617 "der Haupttreiber für die aktuelle Welle ist", sagt die Mikrobiologin Sharon Peacock von der University of Cambridge. Die Frage sei nun, ob die Variante für den Anstieg sorge, menschliches Verhalten oder womöglich beide Faktoren zusammen, so die Wissenschaftlerin. In Indien gab es zuletzt Massenveranstaltungen in Zusammenhang mit religiösen Festen, bei denen Menschen dicht an dicht standen.

Ähnlich äußert sich auch Jeffrey Barrett, Direktor der "Covid-19 Genomics Initiative" am Wellcome Sanger Institute. "Natürlich hat diese Variante in Indien zeitgleich zu der aktuellen sehr großen und tragischen jüngsten Welle an Häufigkeit zugenommen, aber ich glaube, wir wissen noch nicht, wie stark B.1.617 diese Ausbreitung antreibt im Vergleich zu ihrer zufälligen Ausbreitung zur gleichen Zeit." Ein Problem sei, dass in Indien zu wenig sequenziert werde. Während sich in der aktuellen Welle bisher vier Millionen Menschen angesteckt hätten, seien bislang nur Daten von 1000 Sequenzierungen veröffentlicht worden (Stand: 19. April). Die wenigen Daten seien womöglich nicht repräsentativ.

Die Variante sei zudem bereits Ende 2020 entdeckt worden. "Wenn sie also die Welle in Indien antreibt, hat es mehrere Monate gedauert, bis dieser Punkt erreicht war, was darauf hindeutet, dass sie wahrscheinlich weniger ansteckend ist als die B.1.1.7-Variante", so Barrett.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bewertet B.1.617 dagegen deutlich kritischer. In Indien setze sich die Variante auch gegen B.1.1.7 "massiv durch", schreibt Lauterbach auf Twitter. 

Wie bewertet das RKI die indische Variante?

Das Robert Koch-Institut hat die Variante unter Beobachtung gestellt. Eine Einstufung als "Variant of Concern (VOC)", also als besorgniserregende Variante, gibt es bislang nicht. Dafür fehle bisher "die entsprechende Evidenz". 

Zur VOC wird eine Mutante, wenn sich ihre Eigenschaften gegenüber der Ursprungs-Variante so verändert haben, dass sie beispielsweise ansteckender ist oder der Immunantwort entgehen kann. Als VOC listen das RKI und die Weltgesundheitsorganisation WHO derzeit die Virus-Varianten B.1.1.7, B.1.351 und P.1.

Ist die Variante bereits in anderen Ländern angekommen?

Laut einer Mitteilung der indischen Regierung gibt es weitere Nachweise der Mutante in Australien, Belgien, Deutschland, Irland, Namibia, Neuseeland, Singapur, Großbritannien und den USA. In Großbritannien wie auch Deutschland wurde die Variante bislang "vereinzelt" nachgewiesen, teilt das RKI mit. Das RKI führt derzeit 77 Nachweise für Großbritannien und 21 für Deutschland auf.

a Modi diese Woche in einer Rede an die Nation. Nach zuletzt ruhigeren Wochen befinde sich das Land nun erneut "in einem großen Kampf". 

Die Welt blickt in diesen Tagen besorgt nach Indien. Dafür sorgt auch die dort entdeckte Virus-Variante B.1.617. Es handelt sich um eine sogenannte Doppel-Mutante – eine Variante mit zwei Mutationen am Oberflächenprotein. Sorgt dieses Virus womöglich für die stark steigenden Fallzahlen und könnte es auch für andere Länder zur Gefahr werden? Noch sind keine zuverlässigen Antworten auf diese Fragen möglich. Ein Überblick über das, was bereits bekannt ist.

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