Aktivistin der Letzten Generation: Ich bin erleichtert, dass wir uns nicht mehr festkleben

31.01.2024 10:05

Die Klimaaktivisten der "Letzten Generation" wollen sich nicht mehr an die Straße kleben. Im Interview erklärt Sprecherin Lea Rhein, was hinter dem Strategiewechsel steckt – und weshalb sie der bisherigen Protestform nicht nachtrauern wird.

Frau Rhein, müssen wir uns vom Begriff "Klimakleber" verabschieden?
Wir haben uns diese Bezeichnung nicht ausgesucht. Und wir werden sie auch nicht vermissen.

Jetzt können Sie es ja sagen: Wie sehr hat Sie dieser Ausdruck genervt?
Schlimmer fand ich Politiker, die uns noch viel heftigere Begriffe an den Kopf geworfen haben. Damit haben sie in der Bevölkerung eine Stimmung gegen uns geschürt, die nicht konstruktiv war.

Nach zwei Jahren hat die "Letzte Generation" ein Ende der Klebeaktionen angekündigt. Ist der Strategiewechsel ein Eingeständnis des Scheiterns?
Wir sind nicht gescheitert. Die Bewegung ist gewachsen. Im Januar vor zwei Jahren sind wir mit 24 Aktivistinnen und Aktivisten gestartet. Inzwischen engagieren sich viel mehr Menschen bei uns. Das eröffnet uns neue Möglichkeiten für den Protest.

Man ändert seine Strategie aber nicht grundlos. Wenn ein Protest Erfolg hat, besteht kein Anlass, die Form zu wechseln.
Mit den Klebeaktionen haben wir es als Bewegung geschafft, dass die Klimakrise in den Medien stattfindet. Jetzt kommen wir einfach in eine neue Phase des Protests.

Hat sich die Bewegung über den schwindenden Erfolg aufgerieben?
Wir waren erfolgreich. Uns ist es gelungen, dass der drohende Klimakollaps nicht dauerhaft ignoriert werden konnte.

Im vergangenen Jahr hat sich unter anderem Mitgründerin Lea Bonasera aus dem Führungsteam verabschiedet. Auch wegen Unstimmigkeiten über die künftige Ausrichtung der Bewegung?
Nach zwei Jahren Klimaprotest ist es doch völlig normal, dass es personelle Veränderungen innerhalb der Bewegung gibt. Dass Führungspositionen auch mal wechseln. Dahinter stehen keine inhaltlichen Konflikte.

"Das Ankleben ist gerade überflüssig"

Auf der Homepage Ihrer Bewegung heißt es: "Die Bezeichnung Klimakleber setzte sich durch, da das Ankleben auf der Straße allgemein stärker beeindruckte als die abstrakte Vorstellung, die Lebensgrundlagen der Menschheit könnten zu Ende gehen." Das klingt nach etwas umständlich formulierter Selbstkritik.
Natürlich hinterfragen wir uns, wir sind lernfähig. Als wir gestartet sind, war das Ankleben wichtig. Wie sonst hätte man mit 24 Personen für Aufsehen sorgen sollen? Jetzt ist die Lage eine andere. Wir sind inzwischen genug Leute, um anders zu stören. Das Ankleben ist gerade überflüssig.

Wechseln Sie die Protestweise, weil es nervt, immer nur über die Form, statt über den Inhalt zu sprechen?
Wir ändern die Form nicht, weil wir genervt sind, sondern aus strategischen Gründen.

Mussten Sie nach zwei Jahren Klebeprotest anerkennen, dass das Verständnis für Ihre Aktionen in der Bevölkerung immer geringer geworden ist?
Es ist völlig in Ordnung, dass manche Menschen das Ankleben nicht nachvollziehen konnten. Dass sie es als störend empfunden haben. Wir haben uns nie angeklebt, um uns beliebt zu machen. Dennoch ist die Zustimmung für unsere Ziele, das zeigen Studien, unverändert in der Bevölkerung vorhanden.

Aber für die Mittel eben nicht.
Wir wollen anschlussfähiger werden. Es gibt viele, für die es nicht infrage kommt, sich an eine Straße zu kleben. Trotzdem wollen sie womöglich gegen das gefährliche Weiter so der Bundesregierung in der Klimapolitik protestieren. Diese Menschen wollen wir in Zukunft stärker abholen.

Gerade demonstrieren in Deutschland Millionen gegen Rechtsextremismus. Schauen Sie ein bisschen neidisch auf solche Mobilisierungserfolge, die der Klimabewegung schon länger nicht mehr gelungen sind?
Es ist wichtig, dass gerade so viele Menschen auf die Straße gehen und für unsere Freiheiten und Grundrechte einstehen. Wenn wir uns als Klimabewegung zusammentun, ist es möglich, dass auch wir gemeinsam mit Hunderttausenden demonstrieren.

Das klingt ja, als würden die Massen nur darauf warten, dass die "Letzte Generation" sie zur Demo bittet.
Natürlich werden wir die Bundesregierung nicht von heute auf morgen mit hunderttausenden Demonstrierenden daran erinnern können, dass sie ihrer Verantwortung in der Klimapolitik nachkommen muss. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir uns in diese Richtung entwickeln können.

Glauben Sie wirklich, dass jemand, den Sie vor ein paar Monaten durch eine Klebeaktion blockiert haben, bald begeistert auf einer Demo von Ihnen auftaucht?
Neben dem Ärger habe ich auch Erstaunen und Bewunderung für unseren Protest erlebt. Viele sagten mir, dass sie sich sowas niemals trauen würden. Diese Leute wollen wir jetzt durch andere Aktionsformen mitnehmen.

"Unser Protest war immer allein an die Bundesregierung adressiert"

Und die Straßenblockaden überlassen Sie jetzt den Landwirten?
Die Landwirte haben jedenfalls gezeigt, dass Blockaden weiterhin ein wirksames Mittel sein können.

Hat Sie geärgert, dass die Bauern zuletzt die Autobahnen blockieren konnten und sich vergleichswenige wenige Deutsche darüber aufgeregt haben?
Es ist erschreckend, dass die gleiche Protestform so unterschiedlich bewertet wird. Es ist erstaunlich, dass die Landwirte – anders als wir – kaum strafrechtliche Konsequenzen für ihren Protest fürchten mussten.

Kann man rückblickend sagen, dass die Klebeaktionen zu ziellos waren, weil sie sich gegen alle und gleichzeitig niemandem gerichtet haben?
Die Politik hat die Pflicht, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Klimakrise eingedämmt wird. Und bislang kommt sie dieser Verantwortung nicht ausreichend nach. Unser Protest war immer allein an die Bundesregierung adressiert.

Die im Stau stehenden Autofahrer haben vermutlich nicht gedacht, dass sich der Protest gegen die Regierung richtet, sondern gegen sie.
Wir haben immer wieder zu erklären versucht, dass wir uns mit den Aktionen nicht gegen den einzelnen Autofahrer richten. Wir wollten die Aufmerksamkeit der Bundesregierung. Und wie bekommt man die in Deutschland besser als dadurch, den Verkehr zu stören?

Einige Aktivisten haben geschildert, dass es angenehmere Dinge gibt, als am Asphalt festgeklebt vor hunderten Autos zu hocken. Sind Sie froh, dass es mit dem Kleben nun vorbei ist?
Ich bin erleichtert, dass wir uns nicht mehr festkleben. Vielen in der Bewegung geht es so. Niemand hat sich gerne angeklebt. Bei mir waren diese Aktionen immer mit großer Angst verbunden. In der Nacht davor konnte ich kaum schlafen. Wir haben uns einer hohen Gefahr ausgesetzt. Es gab Angriffe von Autofahrern und Passanten. Es ist nicht schön, von der Polizei mit Schmerzgriffen von der Straße geholt zu werden. Auch der Polizeigewahrsam und die Gerichtsverhandlungen machen keinen Spaß. Trotzdem waren wir bereit, das auf uns zu nehmen. Der Protest war richtig, um die Aufmerksamkeit auf die Klimakrise zu lenken. Aber ich bin froh, dass wir uns jetzt in eine andere Richtung entwickeln.

Hat der Strategiewechsel auch etwas damit zu tun, dass die Polizei inzwischen Pflanzenöl für sich entdeckt hat?
Die Polizisten setzen schon länger Pflanzenöl ein. Trotzdem haben sie oft lange gebraucht, um den Kleber zu entfernen und uns von der Straße loszubekommen.

"Wir wollen die Massen mobilisieren"

Zuletzt wirkte es so, dass die Beamten die Blockaden auch dank des Öls meist innerhalb weniger Minuten beendet hatten.
Einige Proteste waren zuletzt schneller beendet als andere, das stimmt. Aber als wir uns etwa in Berlin an 30 verschiedenen Orten festgeklebt haben, war das immer noch eine langwierige Arbeit für die Polizei, auch wenn wir nie beabsichtigt haben, den Beamten besondere Umstände zu bereiten.

Jetzt sollen "ungehorsame Versammlungen" die Klebeaktionen ersetzen. Was verstehen Sie darunter?
Wir wollen bundesweit mit so vielen Menschen wie möglich auf die Straße gehen, Redebeiträgen und Musik zuhören.

Das klingt nicht wie ein Protest, der besonders viel Aufmerksamkeit garantiert.
Wenn wir die Massen mobilisieren können, wird das sicher für große Aufmerksamkeit sorgen. Außerdem wollen wir auch andere Protestformen ausprobieren. Wir werden uns direkt an Politikerinnen richten, sie bei Reden oder Versammlungen stören, um sie an ihre klimapolitische Verantwortung zu erinnern. Und wir werden unseren Protest an Orten der fossilen Zerstörung verstärken, an Flughäfen, Ölpipelines und Firmensitzen von Energiekonzernen.

Haben Sie Sorge, dass Sie für viele immer die "Klimakleber" bleiben werden?
Seit der Ankündigung, dass wir aufs Festkleben verzichten wollen, melden sich so viele Menschen bei uns, die mitmachen wollen. Ich habe wirklich nicht das Gefühl, dass uns die alten Proteste nun im Weg stehen werden.

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